49
«Welt ist ordnungslos und unsicher, verläss
lich bleibt nur die Gewalt, die zu einem
normalen Mittel der Politik avanciert.»
Machiavelli sieht in der kulturellen Blüte
eines Staates seinen politischen Untergang.
Der Politiker muss davon ausgehen, dass
alle Menschen grundsätzlich schlecht, hab
süchtig und ehrgeizig sind, zu uneigennüt
zigem Handeln für die Republik nicht fä
hig. Deshalb muss die menschliche Des
truktivität durch die Machtmittel des
Staates begrenzt werden. In Widerspruch
mit sich selbst gerät Machiavelli durch
seine Forderung, der führende Staatsmann
dürfe bei aller Machtpolitik im Interesse
des Staates niemals eine erbliche Allein
herrschaft anstreben, sondern die Wieder
herstellung einer freien Republik sei das
höchste Ziel.
Unzweifelhaft hat sich unsere Staatstheorie
wesentlich gewandelt: Dem Menschen wird
heute - anders als bei Machiavelli - die
Möglichkeit zur Freiheit eingeräumt. In Sa
chen Transzendenz mischt sich der Staat
nicht mehr ein. Damit vermeiden wir we
nigstens Religionskriege.
Und trotzdem behaupte ich, dass
• der heutige Mensch noch nicht weiss, was
Freiheit ist (ich auch nicht)
• Machiavelli auch heute noch in unseren
Staatsgebilden herumgeistert.
Immanuel Kants (1724-1804) erhoffter Welt
staat bleibt wohl auf lange Sicht Illusion.
Der heutige Staat ist die Abgrenzung einer
politischen Einheit gegenüber dem Rest der
Welt. Die USA beweisen es beinahe täglich.
Und das Gerangel in den Führungsetagen
der EU ebenso. Wenigstens bemüht man
sich dort um den kleinsten gemeinsamen
Nenner. Die Staaten verhalten sich gegen
über anderen Staaten nach wie vor machia-
vellistisch. Und wer oft mit Beamten zu tun
hat, spürt den Schatten von Machiavelli.
• Die USA unterhalten in anderen Staaten
geheime Gefängnisse, in denen rechtlose
Menschen auf Terrorismusverdacht hin
gefoltert werden. Begründung: Der Präsi
dent der Vereinigten Staaten ist für den
Schutz der US-Bevölkerung verantwort
lich. Die EU hat ihre Mitgliedstaaten un
ter Androhung von Konsequenzen davor
gewarnt, solche Marterpfähle auf ihrem
Territorium zu dulden.
• Die angebliche Unfähigkeit des Menschen
zu vernunftmässigem Handeln wird do
kumentiert durch die Inflation von Ge
setzen, die wie Krebsgeschwüre in unse
ren Palästen wuchern: Vernunft, wie sie
in der Antike gefeiert wurde und wie sie
Immanuel Kant so tiefsinnig dargestellt
hat, wird durch Gesetze erstickt.
• Jedes Gesetz bedarf der Durchsetzung
und der Kontrolle. Mit Schrecken habe
ich seinerzeit George Orwells Roman
«1984» gelesen - heute ist «1984» sehr
nahe. Wenn es so weitergeht, dürften in
zwanzig Jahren die meisten Menschen
ohne Rechtsanwälte im Gepäck nicht
mehr leben können. Sie dürften in eine
Maschinerie hineingeraten, die ihnen nur
noch einen Torso von Handlungsfähigkeit
übrig lässt. In der Schule dürfte das Fach
«konformes Verhalten» Hauptfach wer
den. Für Fächer, die den Geist fördern,
wird die Zeit fehlen.
• Durchsetzung und Kontrolle bedürfen
der Bürokratie. Die Regulierung wird
Ausmasse annehmen, die nicht mehr be
zahlbar sind. Es wird eine Zeit kommen,
wo niemand mehr weiss, ob er sich eines
Gesetzesbruches schuldig macht. Die Kon
trolle wird einen Grossteil der Staats
ausgaben auffressen. Wenn noch die Zin
sen für die Staatsschulden dazukommen,
bleibt für Sozialausgaben, für die Bildung
und das Bauwesen nicht mehr viel übrig.
Sic transit gloria - so
vergeht der Ruhm.
Palast des Marcus
Aurelius Valerius Ma
ximianus, erbaut ge
gen Ende des 3. Jahr
hunderts n. Chr.