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Zollvertrag mit Österreich und schloss 1923
einen neuen mit der Schweiz. Zur gleichen
Zeit fand der von der Volkspartei forcierte
Kampf um den Ausbau der Volksrechte
statt, an dessen Ende die Verfassung von
1921 stand. Das Volk honorierte den
Einsatz der Volkspartei. Sie gewann die
Landtagswahlen 1922 und diejenigen vom
Januar 1926. Ein Streit um die Regie
rungsbildung führte jedoch zur Auflösung
des Landtags, und so kam es im April des
selben Jahres zu Neuwahlen, in welchen
der Status quo bestätigt wurde. 1928 ging
die Sparkassa (heute Liechtensteinische
Landesbank) durch Betrügereien praktisch
Bankrott. Für den Schuldenberg in Höhe
von 1,8 Millionen Franken 5 musste das
Land geradestehen, da die Bank Staats
garantie versprach. Die Sparkassa-Affäre
führte zu einem politischen Beben. Da so
wohl der Hauptverantwortliche, Anton
Walscr-Kirchthaler, als auch der Sparkassa-
Verwalter Mitglieder der Volkspartei waren
und diese zudem den Verwaltungsrat der
Bank dominierte, lasteten Fürst Johann II.
und die FBP ihr die Affäre an. Der Fürst
löste den Landtag auf und zwang die Regie
rung zur Demission. Die Neuwahlen ge
wann die oppositionelle Bürgerpartei, die
in der Folge bis 1970 ununterbrochen die
Mehrheit in Landtag und Regierung stellte.
Balzers - eine rote Gemeinde
Für Auswärtige ist unser politisches Farben
system bisweilen etwas verwirrend. Die
Linken sind weder rot noch grün 6 , sondern
weiss; der eine Teil der Bürgerlichen ist rot,
der andere schwarz. Hier war nicht etwa ein
Farbenblinder am Werk. Das Durcheinander
rührt daher, dass es sich bei den heute so
selbstverständlich gebrauchten Bezeich
nungen «Rot» und «Schwarz» ursprünglich
um Beschimpfungen des politischen Geg
ners handelte. Die Volkspartei-Anhänger ver
unglimpften die Bürgerpartei-Sympathisan
ten als «rückständig-reaktionäre Schwarze».
Letztere konterten, die Anhänger der Volks
partei seien sozialistische, unchristliche und
republikanische Rote 7 , wie etwa folgende
Passage aus dem «Volksblatt» von 1918 zeigt:
«In Balzers kommen viele junge Leute mit
roten Bändchen im Knopfloch oder mit ro
ten Krawatten zur Wahl. Diese Leute nennen
sich <Christlichsoziale>, vergessen aber ganz,
dass sie die Abzeichen der Sozialdemokraten
trugen [sic] und wohl auch in Gesinnung mit
diesen gehen.» (LV, 15.3.1918). 1926 appel
lierte das «Volksblatt» an die «katholischen
Landsmänner von Balzers u. Triesenberg»,
sich nicht auf Abwege bringen zu lassen:
«Männer der Volkspartei haben im letzten
Wahlkampfe die eigene Partei zu revolutio
nären Sozialisten gestempelt... Ihr seid
Katholiken, hütet Euch, Verbündete der Um
sturzmänner zu Euren Vorgesetzten zu wäh
len.» (LV, 27.3.1926).
Die Volkspartei wehrte sich heftig gegen
diese Vorwürfe: «Der Ruf <hie schwarz - hie
rot> wirkt im Lande lachhaft und im Aus
lande weiss man es nur zu gut, dass diese
Bezeichnung ursprünglich von den Gegnern
unserer Partei angehängt worden ist, und
seither von diesen Leuten von Zeit zu Zeit
immer wieder ans Licht gezogen wird. Wir
haben mit unserem Parteiprogramm und
durch mehr als zehn Jahre bewiesen, dass
diese Vorwürfe uns nicht treffen können.
Sie sind ein billiges und nicht mehr verfäng
liches Wahlmanöver.» (LN, 16.1.1926).
Vor allem den in der Schweiz arbeitenden
Saisonniers wurde unterstellt, sie «huldig
ten <zumeist sozialdemokratischen, wenn
nicht noch weiter nach links hinneigenden
Ansichten).» 8 Das bekannteste dieser linken
Schreckgespenster und sicherlich der schil
lerndste Balzner Politiker bis 1932 war
Andreas Vogt, alias «Sozi-Vogt». Über ihn
hatte das «Volksblatt» bereits 1918 ge
schrieben, er gelte «allgemein als Sozialist»
(LV, 22.3.1918). Während der Landtagssit
zung vom 25. November 1919 rief Vogt von
der Zuschauertribüne aus; «Hoch die Re
publik! Nieder mit der Regierung!» Dies
brachte ihm im fürstentreuen Liechtenstein
viel Kritik ein. Er war auch innerhalb der
Volkspartei umstritten. 1920 appellierten
Mitglieder aus Schaan und Vaduz an die
Parteileitung, Vogt aus der Partei auszu-
schliessen, falls er sich künftig mit radika
len Äusserungen nicht zurückhalte. Vor den
Wahlen von 1922 wurde parteiintern be
schlossen, Vogt nicht als Kandidaten aufzu
stellen. 1926 stand sein Name dann auf der
Liste der Volkspartei. Die FBP nahm dies
zum Anlass, ihn heftig zu attackieren.
Andreas Vogt wurde nicht nur seine Aus-
5 Diese Summe war
etwa doppelt so hoch
wie ein damaliges
Jahresbudget Liech
tensteins (vgl. Geiger,
wie Anm. 2, Bd. 1,
S. 94).
6 «Grün» war bereits
an die in den 1960er-
und 1970er-Jahren
bestehende Christlich
soziale Partei vergeben
worden.
7 Geiger, wie Anm. 2,
Bd. 1, S. 65. Die Farbe
Rot wird seit 1936 der
Vaterländischen Union
zugeordnet.
8 Geiger, wie Anm. 2,
Bd. 1, S. 63.