Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2005) (2005)

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Wir alle hatten uns auf dieses Lager - für 
viele die erste mehrtägige Reise - seit langem 
gefreut; ein Zeltlager im sonnigen Tessin und, 
wie man uns gesagt hatte, direkt am See. In 
der damaligen Zeit war das für einen Jungen 
in meinem Alter das höchste der Gefühle. 
Die Eisenbahnfahrt von Trübbach ins Tes 
sin habe ich noch in deutlicher Erinnerung. 
Der Pfarrer war wie immer sehr aufgeräumt 
und unterhielt die ganze Gruppe nicht nur mit 
Humor und Witzen, sondern auch dadurch, 
dass er an Gepäckträgern des Waggons seine 
Turnkünste zeigte. Das beeindruckte uns na 
türlich mindestens so sehr wie eine Predigt. 
In Locarno angekommen, fuhr man mit dem 
Schiff nach Vira auf der gegenüberliegen 
den Seite des Lago Maggiore. Dort begann 
der Pfarrer mit den grösseren Ministranten 
auf einer kleinen Wiese unterhalb des Orts 
zentrums, direkt am See, sogleich mit dem 
Aufstellen der Zelte. Auf dem Platz lag auch 
ein altes und in seine Einzelteile zerfallenes 
Schiff. Dessen lose Bretter dienten uns Jün 
geren zum Spielen am Seeufer. Das Wasser 
war ruhig und wurde nur hin und wieder 
durch vorbeifahrende Schiffe etwas bewegt. 
Der eigentliche Hergang des Unglücks ist 
im eingangs zitierten Zeitungsartikel be 
schrieben. Ich sehe heute noch vor mir, wie 
Hans versank, dann Georg, der Hans bereits 
auf den Schultern trug, und wie Pfarrer 
Waser in seinem grauen Arbeitskittel und 
im Anzug über die Ufermauer in den See 
sprang. Alle drei blieben verschwunden und 
tauchten nicht mehr auf. 
Bei uns Ministranten und bei der Pfarr- 
köchin herrschten Hilflosigkeit, Entsetzen 
und Panik. Ich kann mich erinnern, wie 
Taucher Pfarrer Waser als Ersten an Land 
brachten. Dann wurden wir von Einheimi 
schen in ein benachbartes Restaurant ge 
bracht, verpflegt und während des ganzen 
Tages betreut. Man sagte uns vorerst, der 
Herr Pfarrer, Georg und Hans würden sich 
im Spital in Locarno befinden. 
Den Abend verbrachten wir auf der Terrasse 
vor der Kirche von Vira und sahen uns die 
Feuerwerke des Schweizer Nationalfeierta 
ges rund um den See an - schweigend und in 
Gedanken versunken. In Vira selbst war die 
1 .-August-Feier abgesagt worden. Im Laufe 
der Nacht wurden wir in einem Bus abge 
holt und nach Hause gefahren. Ich glaube 
nicht, dass auch nur ein Einziger trotz der 
Müdigkeit schlafen konnte. Zu stark und zu 
schrecklich waren die Erlebnisse. 
Als ich am Morgen gegen 6 Uhr in unserem 
Haus an der Fürstenstrasse eintraf, begannen 
die Kirchenglocken zu läuten, und ich sah von 
unserer Küche aus, wie man die drei Särge 
in die Kirche hineintrug. Erst da wusste ich, 
was tatsächlich geschehen war. Meine Mut 
ter hatte es schon gehört, ich wollte es ihr 
aber in einem ersten Gespräch nicht glau 
ben. Sehr viel stürmte auf uns ein: der Tod 
eines von uns verehrten Pfarrers, der Tod 
von Georg, der für uns Jüngere durch seine 
ruhige, zurückhaltende und bestimmte Art 
ein vorbildlicher Oberministrant war, und 
der Tod von Hans, den ich als immer fröhli 
chen und unternehmungslustigen Kamera 
den in Erinnerung behalten habe. 
Der 1. August 1955 gehört also in besonderer 
Weise zu meinem Leben, wie er dies auch für 
viele andere in Balzers tut. Nach dem Tod von 
Pfarrer Arnold Waser gab es verschiedene 
Deutungen, die besagten, dass er seinen frühen 
Tod vorausgesagt hätte, etwa durch Hinwei 
se, dass er nicht länger als sieben Jahre Pfar 
rer in Balzers sei. Der Tod unter diesen be 
sonders tragischen Umständen machte aus 
einem beliebten Seelsorger - wie auch aus 
der damaligen Berichterstattung hervor 
geht - einen Hirten, der sein Leben hingab 
für seine Schafe, wodurch die Erinnerung 
an ihn in Balzers lebendig geblieben ist.
	        

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