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I.
I.
I Gegen dem morgen
snozze ein wahter lüte sank,
dö er sach den oriön.
Dä verborgen
xvîbes bilde zuo zim drank,
(...)' durh minnen lön:
«Frouwe hère,
ja suit ir wachen:
ich sihe des nahtes krefte balde swachen,
in singe niht mère.-»
II «Wahter; schouwe»,
sprach daz minnekliche wîb,
«ob der leide tag ùf gê!»
Er sprach: «frouwe,
swer wol soldet mir den Up,
swenne ez taget, ich singe iu mê.
Ist der ritter
hie inne, frouwe,
vermide ich danne miner ougen schouwe,
so wirt iuwer frœde bitter.»
III «Hohem solde
warte mir, geselle min»,
sprach diu frouwe wolgetän,
«Daz min holde
lange bi mir muge sin,
den ich umbevangen hän.
Wahter liebe,
hilf mir in fristen
mit dinen kluogen, wol verholnen listen,
wirt sont mir zeinem diebe!»
I Gegen Morgen
sang ein Wächter mit schöner, heller Stimme,
als er den Orion sah.
Da drängte sich aus Sorge um die
Liebe heimlich eine Frauengestalt
zu ihm.
«Edle Herrin,
fürwahr Ihr sollt erwachen:
Ich sehe die Kräfte der Nacht schnell
schwächer werden,
ich singe nicht mehr länger.»
II «Wächter, schau nach»,
sagte die schöne Frau,
«ob der verhasste Tag aufgeht!»
Er antwortete: «Herrin,
wenn mich jemand angemessen bezahlt,
singe ich für Euch länger, wenn es taget.
Wenn der Ritter
hier drin ist, Herrin,
und ich es dann unterlasse, aufmerksam
Ausschau zu halten,
so wird Eure Freude bitter.»
III «Du kannst eine hohe Belohnung
von mir erwarten, mein Gefährte»,
sprach die schöne Herrin,
«damit mein Geliebter
lange bei mir sein kann,
den ich umarmt halte.
Lieber Wächter,
hilf mir, sein Weggehen
mit deiner listenreichen Schläue
heimlich hinauszuzögern.
Werde zusammen mit mir zu einem Dieb!»
1 Obwohl die Handschrift C keine Lücke im Text aufweist (vgl. Abb. 6),
nahm Bartsch einen Fehler an und ergänzte: «diu dar kam ...»