Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2004) (2004)

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«Wämm khöörscht?» 
Vera Heymann Meier 
Meine Schwester kam vom Kindergar 
ten nach Hause und erzählte, jemand 
habe sie gefragt: «Wämm khöörscht?» 
Sie habe geantwortet: «Dr Poscht.» 
Die Antwort hat die fragende Person 
sicher überrascht. Sie war falsch, aber 
trotzdem so vielsagend, dass damals 
jeder in Balzers Bescheid wusste. Ich 
war jünger als meine Schwester und 
habe durch diese Geschichte und die 
Reaktion der Erwachsenen gelernt, 
wie ich nicht antworten sollte. Die 
Frage «Wämm khöörscht?» mussten 
aber nicht nur meine Schwester und 
ich lernen, richtig zu beantworten. 
Von anderen Kindern wurde erzählt, 
sie hätten geantwortet, sie gehörten 
«dr Mamma» oder «am Täta» oder 
auch «dr Mamma und am Papa». 
Die Frage «Wämm khöörscht?» signa 
lisiert, dass man nicht nur sich selbst 
ist, sondern immer auch ein Familien 
mitglied. Jeder wird in der Gesell 
schaft als ein Teil einer Familie und 
deren Geschichte wahrgenommen. 
In den ersten Schuljahren stellte ich 
fest, dass ich mit dem Allerwelts 
namen Meier in meiner Klasse allein 
war. Die Nachnamen meiner Mitschü 
ler kamen dagegen mehrfach vor. 
Frick und Vogt waren/sind in Balzers 
am häufigsten. Es gibt aber noch 
andere für Balzers typische Namen. 
Gleiche Namenskombinationen von 
Vor- und Nachnamen sind gar nicht so 
selten. Wenn zwei oder drei Christian 
Brunhart oder Elisabeth Frick gleich 
zeitig leben, helfen die Hausnamen 
festzustellen, welche Person jeweils 
gemeint ist. Als Kind lernt man also 
nicht nur Vor- und Nachnamen, son 
dern auch Hausnamen. 
Die Entstehung der Hausnamen folgt 
keiner festen Regel. Hausnamen beste 
hen aus einer Abfolge von Vornamen, 
orientieren sich an Berufen, unter 
schiedlichen Gegebenheiten, besonde 
ren Merkmalen, ergeben sich aus auf 
fallendem oder abweichendem Ver 
halten, sind manchmal amüsant und 
können sich auch ändern. 
Warum mein Nachname in Balzers 
selten war, habe ich bald erfahren. 
Mein Vater stammte aus Mauren und 
war also ein «Tschügger» - dorffremd. 
Sein Hausname hatte in Balzers wenig 
oder zumindest nicht denselben infor 
mativen Wert wie in Mauren. In 
Balzers war mein Vater wegen seinem 
Beruf (Posthalter) bekannt. Wieso 
meine Mutter bei der Frage nach mei 
ner Herkunft keine Rolle spielte, da 
rüber habe ich mir erst sehr viel später 
Gedanken gemacht. 
Mit zwölf Jahren wechselte ich die 
Schule und kam ins Internat nach 
Feldkirch. Jetzt wurde eine andere 
Frage an mich gestellt: «Woher 
kommst du?» - «Aus Liechtenstein.» 
Das erste Mal in meinem Leben war 
ich eine Ausländerin. Antworten, die 
ich bis jetzt gegeben hatte, um mitzu 
teilen, wer ich bin, zählten nicht mehr. 
Mit der Bekanntschaft der anderen 
Liechtensteinerinnen, welche wie ich 
im Internat waren, überschritt mein 
liechtensteinisches Beziehungsnetz die 
Dorfgrenzen, von Verwandten im Un 
terland einmal abgesehen. Diese Er 
fahrung machten alle, die von der 
Volksschule auf die Realschule oder 
das Gymnasium wechselten. Bis in die 
zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts 
konnten weiterführende Schulen nur 
in Vaduz und Eschen besucht werden. 
Kinder aus den anderen Gemeinden 
kamen per Bus in die Schule oder fuh 
ren, wie es für die Generation meiner 
Eltern üblich war, mit dem Rad. 
Als ich in Wien mit dem Studium be 
gann, lernte ich das Fremdsein in ei 
ner viel radikaleren Art kennen. Ich 
war ganz allein. Die Sprache, ein 
wichtiges Element, sich heimisch zu 
fühlen, verlangte nach Anpassung. Ich 
sprach nicht mehr meinen Dialekt, 
sondern hochdeutsch mit Akzent. 
«Liechtenstein» war weiterhin die 
Antwort, die ich gab, wenn ich nach 
meiner Herkunft gefragt wurde. Oft 
wurde von mir erwartet, dass ich über 
mein Land Auskunft gab. Die Fragen 
den wussten wenig oder auch gar 
nichts über Liechtenstein. Einmal, in 
der achtstündigen Zugfahrt von Wien 
nach Buchs/SG, kam ich ins Gespräch 
mit einem jungen Amerikaner. Wir un 
terhielten uns über Gott und die Welt 
und tauschten Informationen über un 
sere Länder aus. Der junge Mann war 
ganz aufgeregt, denn von Liechtenstein 
hatte er noch nie gehört. Zwischen 
Feldkirch und Buchs zeigte ich ihm das 
Land, und er meinte schlussendlich: 
«Ich fühle mich wie Kolumbus, ich 
habe eben ein neues Land entdeckt.» 
Mein Blick auf Liechtenstein und mei 
ne Einstellung dazu haben sich durch 
die langjährigen Auslandsaufenthalte 
verändert. Mit meiner jugendlichen 
Neugierde auf die ganze Welt wollte 
ich damals ganz Liechtenstein hinter 
mir lassen. Dann habe ich aber festge 
stellt, dass Fremdes erkennen können 
darauf beruht, es zum Vertrauten und 
Gewohnten in Bezug zu setzen. Liech 
tenstein und die Erfahrungen in mei 
nem Heimatland waren und sind mir 
immer gegenwärtig. 
In meinem Studienfach Volkskunde 
haben wir bei einem der Professoren 
gelernt, wie wichtig die Bedeutung 
und Berücksichtigung der verschiede 
nen sozialen Schichten ist. In einem 
Gespräch über Liechtenstein versuch 
te ich dem Professor zu erklären, dass 
sich das mit den sozialen Schichten in 
Liechtenstein anders verhält und dass 
in Liechtenstein die Familienzugehö 
rigkeit grösste Bedeutung hat. Der 
Professor meinte dazu: «Sie können 
mir doch nicht erzählen, dass es in 
Liechtenstein nur Leute gibt!» Nein, 
das nicht. Natürlich grenzen sich die 
Menschen ab. Es gibt dafür den Satz: 
«Das sind Bessere.» Mir fällt auf, dass 
mir in der Umgangssprache keine all
	        

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