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«Wämm khöörscht?»
Vera Heymann Meier
Meine Schwester kam vom Kindergar
ten nach Hause und erzählte, jemand
habe sie gefragt: «Wämm khöörscht?»
Sie habe geantwortet: «Dr Poscht.»
Die Antwort hat die fragende Person
sicher überrascht. Sie war falsch, aber
trotzdem so vielsagend, dass damals
jeder in Balzers Bescheid wusste. Ich
war jünger als meine Schwester und
habe durch diese Geschichte und die
Reaktion der Erwachsenen gelernt,
wie ich nicht antworten sollte. Die
Frage «Wämm khöörscht?» mussten
aber nicht nur meine Schwester und
ich lernen, richtig zu beantworten.
Von anderen Kindern wurde erzählt,
sie hätten geantwortet, sie gehörten
«dr Mamma» oder «am Täta» oder
auch «dr Mamma und am Papa».
Die Frage «Wämm khöörscht?» signa
lisiert, dass man nicht nur sich selbst
ist, sondern immer auch ein Familien
mitglied. Jeder wird in der Gesell
schaft als ein Teil einer Familie und
deren Geschichte wahrgenommen.
In den ersten Schuljahren stellte ich
fest, dass ich mit dem Allerwelts
namen Meier in meiner Klasse allein
war. Die Nachnamen meiner Mitschü
ler kamen dagegen mehrfach vor.
Frick und Vogt waren/sind in Balzers
am häufigsten. Es gibt aber noch
andere für Balzers typische Namen.
Gleiche Namenskombinationen von
Vor- und Nachnamen sind gar nicht so
selten. Wenn zwei oder drei Christian
Brunhart oder Elisabeth Frick gleich
zeitig leben, helfen die Hausnamen
festzustellen, welche Person jeweils
gemeint ist. Als Kind lernt man also
nicht nur Vor- und Nachnamen, son
dern auch Hausnamen.
Die Entstehung der Hausnamen folgt
keiner festen Regel. Hausnamen beste
hen aus einer Abfolge von Vornamen,
orientieren sich an Berufen, unter
schiedlichen Gegebenheiten, besonde
ren Merkmalen, ergeben sich aus auf
fallendem oder abweichendem Ver
halten, sind manchmal amüsant und
können sich auch ändern.
Warum mein Nachname in Balzers
selten war, habe ich bald erfahren.
Mein Vater stammte aus Mauren und
war also ein «Tschügger» - dorffremd.
Sein Hausname hatte in Balzers wenig
oder zumindest nicht denselben infor
mativen Wert wie in Mauren. In
Balzers war mein Vater wegen seinem
Beruf (Posthalter) bekannt. Wieso
meine Mutter bei der Frage nach mei
ner Herkunft keine Rolle spielte, da
rüber habe ich mir erst sehr viel später
Gedanken gemacht.
Mit zwölf Jahren wechselte ich die
Schule und kam ins Internat nach
Feldkirch. Jetzt wurde eine andere
Frage an mich gestellt: «Woher
kommst du?» - «Aus Liechtenstein.»
Das erste Mal in meinem Leben war
ich eine Ausländerin. Antworten, die
ich bis jetzt gegeben hatte, um mitzu
teilen, wer ich bin, zählten nicht mehr.
Mit der Bekanntschaft der anderen
Liechtensteinerinnen, welche wie ich
im Internat waren, überschritt mein
liechtensteinisches Beziehungsnetz die
Dorfgrenzen, von Verwandten im Un
terland einmal abgesehen. Diese Er
fahrung machten alle, die von der
Volksschule auf die Realschule oder
das Gymnasium wechselten. Bis in die
zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts
konnten weiterführende Schulen nur
in Vaduz und Eschen besucht werden.
Kinder aus den anderen Gemeinden
kamen per Bus in die Schule oder fuh
ren, wie es für die Generation meiner
Eltern üblich war, mit dem Rad.
Als ich in Wien mit dem Studium be
gann, lernte ich das Fremdsein in ei
ner viel radikaleren Art kennen. Ich
war ganz allein. Die Sprache, ein
wichtiges Element, sich heimisch zu
fühlen, verlangte nach Anpassung. Ich
sprach nicht mehr meinen Dialekt,
sondern hochdeutsch mit Akzent.
«Liechtenstein» war weiterhin die
Antwort, die ich gab, wenn ich nach
meiner Herkunft gefragt wurde. Oft
wurde von mir erwartet, dass ich über
mein Land Auskunft gab. Die Fragen
den wussten wenig oder auch gar
nichts über Liechtenstein. Einmal, in
der achtstündigen Zugfahrt von Wien
nach Buchs/SG, kam ich ins Gespräch
mit einem jungen Amerikaner. Wir un
terhielten uns über Gott und die Welt
und tauschten Informationen über un
sere Länder aus. Der junge Mann war
ganz aufgeregt, denn von Liechtenstein
hatte er noch nie gehört. Zwischen
Feldkirch und Buchs zeigte ich ihm das
Land, und er meinte schlussendlich:
«Ich fühle mich wie Kolumbus, ich
habe eben ein neues Land entdeckt.»
Mein Blick auf Liechtenstein und mei
ne Einstellung dazu haben sich durch
die langjährigen Auslandsaufenthalte
verändert. Mit meiner jugendlichen
Neugierde auf die ganze Welt wollte
ich damals ganz Liechtenstein hinter
mir lassen. Dann habe ich aber festge
stellt, dass Fremdes erkennen können
darauf beruht, es zum Vertrauten und
Gewohnten in Bezug zu setzen. Liech
tenstein und die Erfahrungen in mei
nem Heimatland waren und sind mir
immer gegenwärtig.
In meinem Studienfach Volkskunde
haben wir bei einem der Professoren
gelernt, wie wichtig die Bedeutung
und Berücksichtigung der verschiede
nen sozialen Schichten ist. In einem
Gespräch über Liechtenstein versuch
te ich dem Professor zu erklären, dass
sich das mit den sozialen Schichten in
Liechtenstein anders verhält und dass
in Liechtenstein die Familienzugehö
rigkeit grösste Bedeutung hat. Der
Professor meinte dazu: «Sie können
mir doch nicht erzählen, dass es in
Liechtenstein nur Leute gibt!» Nein,
das nicht. Natürlich grenzen sich die
Menschen ab. Es gibt dafür den Satz:
«Das sind Bessere.» Mir fällt auf, dass
mir in der Umgangssprache keine all