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ben), schuf 65 Arbeitsplätze und konn
te mit den Einnahmen von 300'000
Euro seine finanzielle Unabhängigkeit
etwas besser sichern. Der Ort ist 1995
dem europäischen Klimabündnis bei
getreten und strebt - Energie sparend
und alternative Energie produzierend
- in fünfzehn bis zwanzig Jahren in
diesem Bereich eine Autonomie an,
von der andere Dörfer noch nicht ein
mal träumen.
Die Liste der Projekte und Einstellun
gen ist beeindruckend: Umweltschutz
als Standortfaktor, Einsatz moderner
Kommunikationstechnologien (erst
mals hat so das Dorf zeitgleich mit der
Stadt Zugang zu allen Informatio
nen), Weiterbildungsmöglichkeiten
(Zugezogene vermitteln Einheimi
schen etwa den Zugang zum Internet
oder Hausfrauen Computerkennt
nisse, wenn sie in den Beruf zurück
kehren wollen), regionale Kooperation
sorgen für eine gemeinsame Kinderta
gesstätte, für einen attraktiven öffent
lichen Nahverkehr, für ein Altenheim.
Die Beckericher investieren 0,7% ih
rer ordentlichen Einnahmen in Ent
wicklungsprojekte in der Dritten
Welt, getragen von der erfah
rungsgeprägten Einsicht: Solidarität
lohnt sich auch für denjenigen, der
gibt. Nachhaltigkeit ist ein Prinzip,
das nicht nur die politischen Profis
(neun Gemeinderatsmitglieder) be
achten, sondern inzwischen auch die
vielfach engagierten Bürger (weiblich
wie männlich) in zwölf ständigen
Ausschüssen mit achtzig Mitgliedern.
Offenbar wird hier ein humanes Kapi
tal aus praxisorientiertem Know-how
(von Landwirten und Handwerkern)
und intellektuellem Potenzial (zu
meist von Zugezogenen oder wieder
ins Dorf Zurückgekehrten) so ver
knüpft, dass gemeinsam um die Lö
sung vorhandener Probleme und das
Entwerfen von Zukunftsvisionen ge
rungen wird, zum Beispiel um neue
Modelle der gesellschaftlichen Absi
cherung und der Nachbarschaftshilfe
in der Praxis zu schaffen: Allein erzie
hende Mütter finden Unterstützung;
mit einer präventiven Sozialarbeit
versucht man, die negativen Folgen
von Auflösungserscheinungen in die
ser Gesellschaft zu beheben; mit kul
turellen Veranstaltungen - jeder lernt
vom anderen - sorgt man für den nö
tigen Erfahrungsaustausch von Bür
gern verschiedener Nationalitäten,
die sich auch in diesem rund zweitau
send Einwohner starken Dorf finden.
«Lernen ist anstrengend», rekapitu
liert Camille Gira, ehrenamtlicher
Bürgermeister von Beckerich und
Parlamentsabgeordneter in Luxem
burg, diesen Prozess, «sich Neues an
eignen mühsam, sich Fremden nä
hern mit Ängsten behaftet». Und auch
in Beckerich waren die Einführung
und Erprobung neuer Ideen durchaus
von Konflikten und Abwehrreaktio
nen unterschiedlich Betroffener be
gleitet. Als Fazit hält Gira fest, «dass
wir alle dazugelernt haben, dass wir
Zu einer gelebten Bürgerkultur gehört,
dass in allen Bevölkerungsschichten
die unterschiedlichsten Aktivitäten ge
fördert werden. Ein idealer Ort, um
solche kommunalpolitischen Themen
anzugehen, könnte das neu konzipier
te Dorfmuseum von Balzers sein
(vgl. den Beitrag «Museum Balzers -
Grundlagen eines Konzeptes» in dieser
Ausgabe der «Balzner Neujahrsblätter»).
eine Bildungskultur entwickelt haben,
die uns alle auf Trab hält». Seit dem
depressiven Tiefpunkt der 1970er Jah
re gibt es eine regelrechte Aufbruch
stimmung. Der Bevölkerungsrück
gang (um ein Viertel) ist mehr als nur
ausgeglichen. Und die Beckericher
schauen optimistisch in die Zukunft:
«Denn eine Dorfgemeinschaft, welche
in der Wissensgesellschaft mitreden
will, welche chaotische Entwicklun
gen bewältigen will, welche sich in
den Labyrinthen und Bergen von In
formationen zurechtfinden will, muss
bereit sein, sich einem ständigen
Lernprozess zu unterwerfen, muss im
stande sein, sich zu öffnen, muss fähig
sein, sich in einer Generation mehr als
einmal zu häuten.»
Fazit
Die aufgeführten Beispiele sollen ver
deutlichen, dass Bürgerkultur dort
Aktivitäten auslöst, wo ein Mangel als
schmerzlich empfunden wird, wo ein
konkretes Projekt attraktiv ist (und
das herauszufinden ist eine schwieri
ge Spurensuche), wo es überschaubar
ist, also auch zeitlich begrenzt (oder
zumindest in kleine, bewältigbare Ab
schnitte zerlegbar), und zum Schluss
öffentlich so präsentiert wird, dass die
Beteiligten Anerkennung bekommen
und Stolz auf die eigene Leistung ent
wickeln können. Wir erleben nämlich
immer häufiger, dass Vereine und Ins
titutionen Nachwuchsprobleme ha