Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2004) (2004)

19 
ben), schuf 65 Arbeitsplätze und konn 
te mit den Einnahmen von 300'000 
Euro seine finanzielle Unabhängigkeit 
etwas besser sichern. Der Ort ist 1995 
dem europäischen Klimabündnis bei 
getreten und strebt - Energie sparend 
und alternative Energie produzierend 
- in fünfzehn bis zwanzig Jahren in 
diesem Bereich eine Autonomie an, 
von der andere Dörfer noch nicht ein 
mal träumen. 
Die Liste der Projekte und Einstellun 
gen ist beeindruckend: Umweltschutz 
als Standortfaktor, Einsatz moderner 
Kommunikationstechnologien (erst 
mals hat so das Dorf zeitgleich mit der 
Stadt Zugang zu allen Informatio 
nen), Weiterbildungsmöglichkeiten 
(Zugezogene vermitteln Einheimi 
schen etwa den Zugang zum Internet 
oder Hausfrauen Computerkennt 
nisse, wenn sie in den Beruf zurück 
kehren wollen), regionale Kooperation 
sorgen für eine gemeinsame Kinderta 
gesstätte, für einen attraktiven öffent 
lichen Nahverkehr, für ein Altenheim. 
Die Beckericher investieren 0,7% ih 
rer ordentlichen Einnahmen in Ent 
wicklungsprojekte in der Dritten 
Welt, getragen von der erfah 
rungsgeprägten Einsicht: Solidarität 
lohnt sich auch für denjenigen, der 
gibt. Nachhaltigkeit ist ein Prinzip, 
das nicht nur die politischen Profis 
(neun Gemeinderatsmitglieder) be 
achten, sondern inzwischen auch die 
vielfach engagierten Bürger (weiblich 
wie männlich) in zwölf ständigen 
Ausschüssen mit achtzig Mitgliedern. 
Offenbar wird hier ein humanes Kapi 
tal aus praxisorientiertem Know-how 
(von Landwirten und Handwerkern) 
und intellektuellem Potenzial (zu 
meist von Zugezogenen oder wieder 
ins Dorf Zurückgekehrten) so ver 
knüpft, dass gemeinsam um die Lö 
sung vorhandener Probleme und das 
Entwerfen von Zukunftsvisionen ge 
rungen wird, zum Beispiel um neue 
Modelle der gesellschaftlichen Absi 
cherung und der Nachbarschaftshilfe 
in der Praxis zu schaffen: Allein erzie 
hende Mütter finden Unterstützung; 
mit einer präventiven Sozialarbeit 
versucht man, die negativen Folgen 
von Auflösungserscheinungen in die 
ser Gesellschaft zu beheben; mit kul 
turellen Veranstaltungen - jeder lernt 
vom anderen - sorgt man für den nö 
tigen Erfahrungsaustausch von Bür 
gern verschiedener Nationalitäten, 
die sich auch in diesem rund zweitau 
send Einwohner starken Dorf finden. 
«Lernen ist anstrengend», rekapitu 
liert Camille Gira, ehrenamtlicher 
Bürgermeister von Beckerich und 
Parlamentsabgeordneter in Luxem 
burg, diesen Prozess, «sich Neues an 
eignen mühsam, sich Fremden nä 
hern mit Ängsten behaftet». Und auch 
in Beckerich waren die Einführung 
und Erprobung neuer Ideen durchaus 
von Konflikten und Abwehrreaktio 
nen unterschiedlich Betroffener be 
gleitet. Als Fazit hält Gira fest, «dass 
wir alle dazugelernt haben, dass wir 
Zu einer gelebten Bürgerkultur gehört, 
dass in allen Bevölkerungsschichten 
die unterschiedlichsten Aktivitäten ge 
fördert werden. Ein idealer Ort, um 
solche kommunalpolitischen Themen 
anzugehen, könnte das neu konzipier 
te Dorfmuseum von Balzers sein 
(vgl. den Beitrag «Museum Balzers - 
Grundlagen eines Konzeptes» in dieser 
Ausgabe der «Balzner Neujahrsblätter»). 
eine Bildungskultur entwickelt haben, 
die uns alle auf Trab hält». Seit dem 
depressiven Tiefpunkt der 1970er Jah 
re gibt es eine regelrechte Aufbruch 
stimmung. Der Bevölkerungsrück 
gang (um ein Viertel) ist mehr als nur 
ausgeglichen. Und die Beckericher 
schauen optimistisch in die Zukunft: 
«Denn eine Dorfgemeinschaft, welche 
in der Wissensgesellschaft mitreden 
will, welche chaotische Entwicklun 
gen bewältigen will, welche sich in 
den Labyrinthen und Bergen von In 
formationen zurechtfinden will, muss 
bereit sein, sich einem ständigen 
Lernprozess zu unterwerfen, muss im 
stande sein, sich zu öffnen, muss fähig 
sein, sich in einer Generation mehr als 
einmal zu häuten.» 
Fazit 
Die aufgeführten Beispiele sollen ver 
deutlichen, dass Bürgerkultur dort 
Aktivitäten auslöst, wo ein Mangel als 
schmerzlich empfunden wird, wo ein 
konkretes Projekt attraktiv ist (und 
das herauszufinden ist eine schwieri 
ge Spurensuche), wo es überschaubar 
ist, also auch zeitlich begrenzt (oder 
zumindest in kleine, bewältigbare Ab 
schnitte zerlegbar), und zum Schluss 
öffentlich so präsentiert wird, dass die 
Beteiligten Anerkennung bekommen 
und Stolz auf die eigene Leistung ent 
wickeln können. Wir erleben nämlich 
immer häufiger, dass Vereine und Ins 
titutionen Nachwuchsprobleme ha
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.