Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2003) (2003)

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hielt die Kinder zurück, um gegen das 
hochwürdige Vorbild ihre Sprüche 
und Anekdoten zu erfinden und damit 
zu zeigen, dass ein «Hochwürden» in 
kindlichen Augen manchmal eher ein 
«Merkwürden» war, dessen Schwäche 
man entlarvt hatte. 
So wurde beispielsweise von einem 
Pfarrer berichtet, auf dessen Kanzel 
brüstung ein paar verwegene Bürsch 
chen eine Reisszwecke versteckt hat 
ten. Der Beginn der Predigt wurde 
dann vom erzählenden Kind mit scha 
denfrohem Entzücken und mit viel 
Spielwitz ausgestaltet: 
Liehe Kinder, fluchet nicht! - 
Sakrament! Wie sticht das mich! 
Fluchen scheint früher ein besonde 
res Zeichen von Verruchtheit gewesen 
zu sein; trotzdem (oder deshalb?) 
lässt unsere nächste Geschichte einen 
Pfarrer - diesmal aber nur scheinbar - 
sein Heil in einer Salve von Flüchen 
suchen. 
Es ist Fronleichnam. Unmittelbar vor 
Beginn der Prozession dreht sich der 
Pfarrer zum Kirchenvolk um und ruft; 
Alle Himmel-, Härrgott-, Kruzifix-... 
(jetzt löst sich das Rätsel um 
die scheinbaren pfarrherrlichen 
Fluchtiraden) 
... und Faanaträäger sötten vor dr 
Prozässio no i d Sakreschtäi kho. 
Man kann sich vorstellen, was für ein 
Heidenspass es für den jugendlichen 
Erzähler dieser Geschichte jeweils 
war, die vermeintlichen Flüche wie 
derzugeben - mit einer einkalkulier 
ten Kunstpause nach «Kruzifix-», ver 
steht sich! 
Spiel und Spass 
Fingerspiele sind weit verbreitet und 
seit jeher beliebt. Auf kindgerechte 
Art werden dabei Begriffe eingeübt 
(«Das ist der Daumen, der schüttelt 
Pflaumen ...»), und der Spass kommt 
auch nicht zu kurz. Besonders lustvoll 
geht es beim folgenden Fingerspiel 
zu. Die erwachsene Person setzt Mit 
tel- und Zeigefinger wie zwei Beine 
leicht auf den Körper des Kindes und 
macht damit schreitende Bewegun 
gen, während sie dazu mit leicht Un 
heil drohendem Ton murmelt; 
Khunnt än Bäär, 
zottlet dohäär 
nümmt äm ... (Name) 
s Näsle (oder sonst einen Körperteil) 
awägg. 
Für etwas ältere Kinder gehörte die 
Schaukel oder Wippe («Giigampfe») 
zu den Favoriten unter den Spielge 
räten. Auch für diese rhythmische Auf- 
und Ab- oder Hin- und Herbewegung 
gab es ein passendes Sprüchlein; 
Giigampfa, 
rottla, stampfa; 
suura Wii, 
Zugger drii. 
Einen besonderen Reiz weist das fol 
gende Fingerspiel auf, nicht zuletzt 
deshalb, weil das Kind auf originelle 
Art sein Bedürfnis nach etwas Ess 
barem ausdrücken kann. Die Ausfüh 
rung erfolgt so, dass zu jedem Begriff 
der Zeigefinger an eine andere Öff 
nung am Kopf hindeutet; 
Mamma, (rechtes Ohr) 
Tätta, (linkes Ohr) 
ii (rechtes Auge) 
ha (linkes Auge) 
Hunger, (rechtes Nasenloch) 
Wo? (linkes Nasenloch) 
Doo! (Mund) 
Abzählverse 
Abzählverse waren ein unerlässliches 
Einleitungsritual beim «Schnäppla» 7 , 
also dem «Fangis»-Spiel unserer 
Schweizer Nachbarn. Die Mitspieler 
stellten sich im Kreis auf; bei jedem 
Wort des Abzählverses wurde reihum 
auf eine andere Person der Spiel 
gruppe gezeigt. Entweder war man 
«fräi» oder «doss», d.h. man war dies 
mal nicht der Fänger; oder es hiess: 
«Du bischt!», und dann war man an 
der Reihe, als Jäger die anderen Kin 
der zu fassen. 
Einige der in diesem Aufsatz vorge 
stellten Sprüche enthalten ein Sprach- 
gut, das sich nur schwer einordnen 
oder gar erschliessen lässt. So klingt 
der Beginn unseres ersten Beispiels 
wie eine Beschwörungsformel aus alt 
germanischer Zeit, während die zwei 
te Zeile an Kirchenlatein 8 (oder an 
dessen Verballhornung?) erinnert; 
Anaga, kanaga, tumpeldi; 
kribis, krabis, Domini; 
Saalz, Schmaalz, Kessepfanna; 
dia, doo, doss! 
Dem Namen «Abzählvers» kommt un 
ser zweites Beispiel am nächsten: 
Ääs, zwei, dräi 
und du bischt fräi. 
Beim folgenden Spruch lässt das Er 
gebnis ebenfalls nicht lange auf sich 
warten: 
Wir machen keinen langen Mischt, 
und du bischt! 
Auch der anschliessende Zweizeiler 
diente dazu, den «Fänger» zu bestim 
men. Aber nicht nur! Trug ein Kind 
ein Kleidungsstück mit Knöpfen, so 
wurde die Anzahl Knöpfe gezählt, um 
herauszufinden, ob das Kleidungs 
stück gefunden, gestohlen, erbettelt 
oder gekauft worden war. Dass das 
letzte Wort «gkauft» und nicht 
«gkooft» lautete, war in diesem Fall 
egal. Es musste sich nur einigermas- 
sen reimen! 
Räädle, Räädle, lauf! 
Gfunda, gstola, bbättlet, gkauft. 
Rätsel, Fragen, Foppereien 
Vor allem die kleinen Kinder sind 
«Fröögele», die einem «ein Loch in 
den Bauch» fragen können. Gar man 
che Erwachsene könnten davon ein 
mehrstrophiges Lied singen. Ein Zwei 
zeiler soll uns aber genügen: 
Lirurn, lamm, Löffelstiel, 
kleine Kinder fragen viel. 
Rätsel standen bei Kindern besonders 
hoch im Kurs, vor allem wenn es sich 
um Scherzrätsel handelte, bei denen 
der Uneingeweihte zugleich noch der 
Dumme war: 
Dr Gimmerääs und dr Garnmerääs 
und dr Gummerääs sind 
in Waald ganga. 
Dr Garnmerääs und dr Gummerääs 
sind wedr ussa kho. 
Wär ischt dinn bbleba? 
Wer antwortete: «Dr Gimmerääs!», 
der bekam «ääs», z.B. eine Ohrfeige.
	        

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