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hielt die Kinder zurück, um gegen das
hochwürdige Vorbild ihre Sprüche
und Anekdoten zu erfinden und damit
zu zeigen, dass ein «Hochwürden» in
kindlichen Augen manchmal eher ein
«Merkwürden» war, dessen Schwäche
man entlarvt hatte.
So wurde beispielsweise von einem
Pfarrer berichtet, auf dessen Kanzel
brüstung ein paar verwegene Bürsch
chen eine Reisszwecke versteckt hat
ten. Der Beginn der Predigt wurde
dann vom erzählenden Kind mit scha
denfrohem Entzücken und mit viel
Spielwitz ausgestaltet:
Liehe Kinder, fluchet nicht! -
Sakrament! Wie sticht das mich!
Fluchen scheint früher ein besonde
res Zeichen von Verruchtheit gewesen
zu sein; trotzdem (oder deshalb?)
lässt unsere nächste Geschichte einen
Pfarrer - diesmal aber nur scheinbar -
sein Heil in einer Salve von Flüchen
suchen.
Es ist Fronleichnam. Unmittelbar vor
Beginn der Prozession dreht sich der
Pfarrer zum Kirchenvolk um und ruft;
Alle Himmel-, Härrgott-, Kruzifix-...
(jetzt löst sich das Rätsel um
die scheinbaren pfarrherrlichen
Fluchtiraden)
... und Faanaträäger sötten vor dr
Prozässio no i d Sakreschtäi kho.
Man kann sich vorstellen, was für ein
Heidenspass es für den jugendlichen
Erzähler dieser Geschichte jeweils
war, die vermeintlichen Flüche wie
derzugeben - mit einer einkalkulier
ten Kunstpause nach «Kruzifix-», ver
steht sich!
Spiel und Spass
Fingerspiele sind weit verbreitet und
seit jeher beliebt. Auf kindgerechte
Art werden dabei Begriffe eingeübt
(«Das ist der Daumen, der schüttelt
Pflaumen ...»), und der Spass kommt
auch nicht zu kurz. Besonders lustvoll
geht es beim folgenden Fingerspiel
zu. Die erwachsene Person setzt Mit
tel- und Zeigefinger wie zwei Beine
leicht auf den Körper des Kindes und
macht damit schreitende Bewegun
gen, während sie dazu mit leicht Un
heil drohendem Ton murmelt;
Khunnt än Bäär,
zottlet dohäär
nümmt äm ... (Name)
s Näsle (oder sonst einen Körperteil)
awägg.
Für etwas ältere Kinder gehörte die
Schaukel oder Wippe («Giigampfe»)
zu den Favoriten unter den Spielge
räten. Auch für diese rhythmische Auf-
und Ab- oder Hin- und Herbewegung
gab es ein passendes Sprüchlein;
Giigampfa,
rottla, stampfa;
suura Wii,
Zugger drii.
Einen besonderen Reiz weist das fol
gende Fingerspiel auf, nicht zuletzt
deshalb, weil das Kind auf originelle
Art sein Bedürfnis nach etwas Ess
barem ausdrücken kann. Die Ausfüh
rung erfolgt so, dass zu jedem Begriff
der Zeigefinger an eine andere Öff
nung am Kopf hindeutet;
Mamma, (rechtes Ohr)
Tätta, (linkes Ohr)
ii (rechtes Auge)
ha (linkes Auge)
Hunger, (rechtes Nasenloch)
Wo? (linkes Nasenloch)
Doo! (Mund)
Abzählverse
Abzählverse waren ein unerlässliches
Einleitungsritual beim «Schnäppla» 7 ,
also dem «Fangis»-Spiel unserer
Schweizer Nachbarn. Die Mitspieler
stellten sich im Kreis auf; bei jedem
Wort des Abzählverses wurde reihum
auf eine andere Person der Spiel
gruppe gezeigt. Entweder war man
«fräi» oder «doss», d.h. man war dies
mal nicht der Fänger; oder es hiess:
«Du bischt!», und dann war man an
der Reihe, als Jäger die anderen Kin
der zu fassen.
Einige der in diesem Aufsatz vorge
stellten Sprüche enthalten ein Sprach-
gut, das sich nur schwer einordnen
oder gar erschliessen lässt. So klingt
der Beginn unseres ersten Beispiels
wie eine Beschwörungsformel aus alt
germanischer Zeit, während die zwei
te Zeile an Kirchenlatein 8 (oder an
dessen Verballhornung?) erinnert;
Anaga, kanaga, tumpeldi;
kribis, krabis, Domini;
Saalz, Schmaalz, Kessepfanna;
dia, doo, doss!
Dem Namen «Abzählvers» kommt un
ser zweites Beispiel am nächsten:
Ääs, zwei, dräi
und du bischt fräi.
Beim folgenden Spruch lässt das Er
gebnis ebenfalls nicht lange auf sich
warten:
Wir machen keinen langen Mischt,
und du bischt!
Auch der anschliessende Zweizeiler
diente dazu, den «Fänger» zu bestim
men. Aber nicht nur! Trug ein Kind
ein Kleidungsstück mit Knöpfen, so
wurde die Anzahl Knöpfe gezählt, um
herauszufinden, ob das Kleidungs
stück gefunden, gestohlen, erbettelt
oder gekauft worden war. Dass das
letzte Wort «gkauft» und nicht
«gkooft» lautete, war in diesem Fall
egal. Es musste sich nur einigermas-
sen reimen!
Räädle, Räädle, lauf!
Gfunda, gstola, bbättlet, gkauft.
Rätsel, Fragen, Foppereien
Vor allem die kleinen Kinder sind
«Fröögele», die einem «ein Loch in
den Bauch» fragen können. Gar man
che Erwachsene könnten davon ein
mehrstrophiges Lied singen. Ein Zwei
zeiler soll uns aber genügen:
Lirurn, lamm, Löffelstiel,
kleine Kinder fragen viel.
Rätsel standen bei Kindern besonders
hoch im Kurs, vor allem wenn es sich
um Scherzrätsel handelte, bei denen
der Uneingeweihte zugleich noch der
Dumme war:
Dr Gimmerääs und dr Garnmerääs
und dr Gummerääs sind
in Waald ganga.
Dr Garnmerääs und dr Gummerääs
sind wedr ussa kho.
Wär ischt dinn bbleba?
Wer antwortete: «Dr Gimmerääs!»,
der bekam «ääs», z.B. eine Ohrfeige.