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Dass die Saisonniertätigkeit auch im
Land ein Thema war, ersieht man aus
Artikeln und Leserbriefen in den Zei
tungen von damals. Im Beitrag «Der
Franken unseres Arbeiters» in den
«Oberrheinischen Nachrichten» vom
30. Mai 1914 wird die Bedeutung der
durch die Saisonniers verdienten Fran
ken für unser Land hervorgehoben:
«Unverkennbar liegt die Verdienst
quelle Liechtensteins zum grössten
Teil über dem Rhein.» Die Lobeshym
ne auf den Franken überrascht doch
sehr; schliesslich war damals noch die
österreichische Krone die Landeswäh
rung. Eine Entgegnung im «Liechten
steiner Volksblatt» vom 13. Juni 1914
mit dem Titel «Franken und Krone»
versuchte dann auch, die Ehre der
Krone zu retten. Diese beiden Artikel
führten zu weiteren «Eingesandt»,
also Leserbriefen, in denen das The
ma diskutiert wurde und welche
eindrücklich aufzeigen, wie hart das
Leben damals für die Saisonar
beitskräfte war.
Der folgende Ausschnitt stammt aus
«Der Franken unseres Arbeiters». Er
stellt einen typisierten Lebenslauf ei
nes Saisonniers dar und hebt vor al
lem die negativen Seiten dieser Tätig
keit hervor.
Hans ist in unserem Dorfe aufgewachsen, ging dort in die Schule als kleiner Gernegross. Seine Mutter sagt
ihm schon von Kindesbeinen an: «Hänsle, du musst, wenn du gross bist, in die Schweiz gehen, um den
Franken zu verdienen.» - «Und Gipser will ich werden!» meint unsere Stütze der Zukunft. Seine Familie ist
eben wie so manch andere in Liechtenstein] auf die Lohneinnahmen aus der Schweiz angewiesen. - Das
Kind plapperts der Mutter nach: «Geld verdienen». Die Schule lässt unser Hans mit hoffnungsvollen Segeln
hinter sich. Pläne entstehen und vergehen. Hinaus! In die Gaue des Schweizerlandes zieht es mächtig un-
sern Jungen, wo er den Beruf des Gipsers erlernt, mit dem Hammer und der Kelle sich vertraut macht. ... Es
wird von seinem Lehrmeister, gar oft ein Bekannter oder Verwandter, hart mitgenommen. Der Ernst des
Lebens! Bald bemerkt unser Jüngling die etwas trocken aussehende Wirklichkeit, verschieden von den Träu
men seiner Kinderseele. Die Gefahren seines Berufes kommen ihm auf den hohen Gerüsten, wo er Leib und
Leben wagen muss, zum Bewusstsein. - Matt und abgearbeitet kehrt er abends in sein billiges Dach
stübchen heim. Sein Essen macht er sich selbst aus Kaffee und Brot, oder wenn’s hoch geht, nimmt er sich
einen billigen Kostort. Das Geld spart sich unser Hans fleissig auf, denn im Gedanken an die heimatlichen
Verhältnisse erstickt jedes Bedürfnis nach unnötigen Auslagen. Ein oder zwei Monate sind vergangen; dem
Hans wird sein Dienst vom Mittwoch auf den Samstag gekündigt. Um gleich wieder Verdienst zu haben,
sucht er anderswo Arbeit. Seinen sauer verdienten Rappen muss er ... im Hin- und Herfahren [ausgeben]
und obendrein [verliert er auch noch viel von] seiner Arbeitszeit. ... Endlich findet er Arbeit, aber damit ihm
neue, unbekannte Lebensverhältnisse, keine heimischen! ... Ach, wie bald muss eres auch empfinden, dass
er nur ein Arbeiter ist und als solcher von hochtrabenden, unverständigen Menschen zurücksetzend behan
delt wird. Noch mehr Ernst des Lebens! Darf man sich da noch wundern, wenn sich unser Arbeiter fremd in
der Schweiz fühlt. ... Jahre sind vergangen, unser Arbeiter ist Familienvater geworden. Aber er muss jedes
Frühjahr seinen trauten Kreis verlassen und kann ihn oft erst mit des Herbstes Neige wieder begrüssen. ...
Mit dem Alter zeigen sich dann oft noch die dem Berufe eigentümlichen Krankheiten, so z.B. bei den viel am
Luftzug arbeitenden Gipsern Rheumatismus, Fusskälte u.a. Der Arbeiter wird im Alter weniger mehr begehrt,
man hat lieber junge, kräftige Arme. Das ist dann der bittere Ernst des Lebens.