Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2002) (2002)

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Kindermund und Kinderreime 
Georg Burgmeier 
Vorbemerkungen 
Bereits 1928 beklagt sich Josef Ospelt 
im Band 28 des Historischen Jahrbu 
ches darüber, wie wenig in Liechten 
stein unternommen werde, um Sa 
gen, Brauchtum, Sprüche und Spiele 
vor dem Vergessen zu bewahren. Da 
bei sei «das Sammeln von Bräuchen 
und Sprüchen ... bei uns umso dring 
licher, als diese immer mehr, von Jahr 
zu Jahr, aus dem Gedächtnis des Vol 
kes entschwinden. Diese Erfahrung 
wird jeder machen, der sich mit dem 
Sammeln solchen Volksgutes be 
fasst.» (In: JBL 1928, S. 167.) 
Mehr als sieben Jahrzehnte nach die 
sem resignierenden Klagelied hat sich 
die Situation nicht gebessert. Im Ge 
genteil: Was in meiner eigenen Kind 
heit ein wesentlicher Bestandteil von 
Spiel und Spass und nicht zuletzt von 
Erziehung war, hat bei den Kindern 
heute ausgedient. Dies ist nicht ver 
wunderlich, haben doch Spiel, Unter 
haltung und auch Erziehung in den 
letzten Jahren eine derartige Verände 
rung durchgemacht, dass Abzählrei 
me, Spottliedchen oder gar erziehe 
risch verbrämte Reime nicht mehr ge 
fragt sind. 
Der Blick zurück in eine Zeit, als die 
heute Fünfzig- oder Sechzigjährigen 
selber noch Kinder waren, offenbart 
uns eine Gesellschaft, deren Alltag 
nicht unbedingt einfacher, aber doch 
überschaubarer und aus diesem 
Grund wohl auch besser zu bewälti 
gen war. Es gab gewisse Normen, die 
seit jeher Gültigkeit besassen und an 
deren Wert auch nie ernsthaft gezwei- 
felt wurde - ausser von den Kindern 
selber, wie verschiedene Spottverse 
beweisen. 
Die Erwachsenenwelt hatte sich Re 
geln geschaffen, an die man sich hielt, 
um in der Gemeinschaft nicht unlieb 
sam aufzufallen. «Was würden auch 
die Leute sagen?», war eine der gängi 
gen Fragen, die jedem Einzelnen als 
Richtschnur für das tägliche Verhal 
ten dienten. Auch hier waren es wie 
derum die Kinder, die in Spottliedern 
oder Rätseln bewusst gegen solche 
Verhaltensmuster verstiessen. Dies 
geschah mit besonderer Vorliebe da 
durch, dass «unanständige» Wörter 
verwendet wurden, die bei den Er 
wachsenen erfahrungsgemäss ver 
pönt waren - wenn sie aus Kinder 
mund stammten. Viele der verwende 
ten Sprüche und Reime erfreuten 
aber Kinder wie Erwachsene einfach 
durch den Reim und den kindlichen 
Humor, ein Reim um des Spasses wil 
len, um Christian Morgenstern etwas 
abzuwandeln. 
Versetzen wir uns also ein paar Jahr 
zehnte zurück und gemessen wir, was 
bereits damals der Erheiterung und - 
wenigstens im Ansatz - der Erbauung 
gedient hat. 
Mit Kinderreimen durch das Jahr 
Zum neuen Jahr 
Der Jahresbeginn war für Kinder frü 
her ein Grund, bei jedem Wetter die 
warme Stube zu verlassen, um bei 
Nachbarn, Bekannten und Verwand 
ten vorzusprechen und ein gutes neues 
Jahr zu wünschen, und das klang 
meist so; 
/ wüüsch dr a guats neus Joor, 
dass d' lang läbscht 
und gsund blibscht 
und in Himml kunnscht. 
Dieser fromme Spruch konnte dann 
aber auch hinter vorgehaltener Hand 
in abgewandelter Form so lauten: 
I wüüsch dr a guats neus Joor, 
dass d' lang läbscht 
und anara Wand kläbscht. 
Besonders kecke Bürschchen hatten 
noch eine Steigerung auf Lager; 
/ wüüsch dr a guats neus Joor, 
dass d' lang läbscht 
und baal(!) in Himml kunnscht. 
Vor allem ältere Kinder machten sich 
einen Spass daraus, ihre jüngeren Ge 
schwister anzuleiten, dass diese Ge 
dichte aufsagten, die weniger den 
Glückwunsch, dafür umso mehr den 
damit verbundenen Geschenkbatzen 
zum Inhalt hatten: 
I bi ¿in klimm Stumpa 
und ha no klinne Bei. 
Girnmer du a Füüferle 
dänn gon i weder hei. 
Der Ursprung dieses etwas despektier 
lichen Sprüchleins dürfte in der 
Schweiz zu suchen sein. Kein Liech 
tensteiner, auf jeden Fall kein Balzner, 
würde «Bei» für «Bein» und «hei» für 
«heim» sagen. Da sich aber «Füess» auf 
«hääm» überhaupt nicht reimt, haben 
die Balzner Kinder die Reimwörter 
wohl «vo ober äm Rhii» entliehen. 
Funkensonntag und Fasnacht 
Balzers ist die einzige liechtensteini 
sche Gemeinde, in der auch heute 
noch Schulbuben für die Errichtung 
des Funkens verantwortlich sind. Zu 
einem richtigen Funken gehörten 
schon immer Reisigbündel («Bör 
dele») und Maisstroh («Törgga- 
stroo»). Auch heute sammeln die 
Funkenbuben ausgediente Christbäu 
me, gebündeltes Holz und Stroh, wo 
bei aber der damit verbundene Vers 
von früher kaum mehr zu hören ist: 
Bördele, Bördele, Törggastroo, 
alte Wiiber nöömer oo. 
Das Gcringschätzen von alten Frauen, 
wie sie in diesem derben Liedchen 
vorkommt, dürfte auch früher nicht 
die Regel gewesen sein. Vielmehr ver 
raten diese Zeilen einen gewissen Be 
zug zur Zeit des Hexenwahns, wenn 
auch der Brauch des Funknens in die
	        

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