Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2002) (2002)

23 
Bild, das sich mir bot, war eindrück 
lich. Die armen verbrannten Kühe la 
gen seitlich am Boden, die Augen weit 
offen. Das Fell war ganz dunkel, die 
Körper starr und so, als hätte man sie 
aufgeblasen. Ich bin schnell wieder 
nach Hause gegangen. 
Am besten beobachten konnte ich die 
Kühe auf der Nachbarwiese. Ich sah 
ihnen zu, wie sie kauten und kauten 
und mich dabei anschauten, ohne 
dass ihr Blick verriet, was sie womög 
lich dachten. Obwohl ich die Kühe nie 
etwas anderes als Gras und Heu fres 
sen sah und später in der Schule auch 
ihre komplizierte Art des Verdauens 
und Wiederkauens lernte, geriet eine 
Kuh auf der Nachbarwiese in einen 
schrecklichen Verdacht meinerseits. 
Unser Hund war verschwunden, und 
unsere Suche verlief ohne Erfolg. Ich 
war traurig, und in meinen traurigen 
Blick fiel die wiederkäuende Kuh. 
Vielleicht hatte die ja den Hund ver 
schluckt? Wo er sich jetzt wohl in ih 
rem grossen Magen befand? Die Kuh 
schaute mich mit einem beharrlich 
ruhigen Blick an und hatte auch sonst 
keine äusseren Anzeichen eines ver 
schluckten Hundes. Ich liess den Ver 
dacht fallen. Später ist unser Pudel 
von sich aus wieder aufgetaucht. 
In Mäls gehörte das Anwesen der drei 
Brüder Vogt (Hans, Elias, Gebhard) 
zu dem, was ich in meiner Kindheit 
als geheimnisvoll und gefährlich emp 
fand. Das Haus liegt nicht direkt an 
der Strasse und wirkte, zusammen 
mit dem Grundstück davor, unbelebt 
und verwunschen. Elias kam ab und 
zu auf die Post. Er ging gebeugt. Die 
Hände ineinander liegend auf dem 
Rücken, war jeder seiner Schritte eine 
grosse Hin- und Herbewegung. Mit 
viel Eifer half Elias, die Postsäcke in 
den Anhänger vom Postauto zu tra 
gen. Er kam aber eigentlich wegen sei 
nes immer gleichen Anliegens: Er 
wünschte sich einen Traktor. Trotz 
fehlendem Sprachvermögen konnte 
er uns diesen seinen Wunsch gut deut 
lich machen. Wir sollten ihm helfen 
und telefonieren. Wenn er sich freute, 
lachte er sein unvergesslich tiefes La 
chen und strahlte mit seinen klaren 
blauen Augen. Trotz dieser ungefähr 
lichen, freundlichen Begegnung mit 
Elias hatte das Haus, in dem er mit sei 
nen Brüdern wohnte, das Geheimnis 
volle für mich damals nicht verloren. 
Schloss Gutenberg und die Pfarrkir 
che kommen in unser Blickfeld. Für 
mich war das der Dorfmittelpunkt. 
Das Schloss und der Schlossböchel 
faszinierten mich. An vielen Nachmit 
tagen habe ich mit anderen Kindern 
dort gespielt, haben wir uns den Wald 
erschlossen. Tabu war das Schloss 
innere; es blieb verschlossen. Das Ge 
heimnis war gelüftet, als ich einmal 
meinen Vater beim Briefzustellen be 
gleiten durfte. 
Was mich immer wieder erschaudern 
lässt, wenn ich an den Schlossböchel 
denke, das sind unsere Höhlengänge 
im Felsen. Lieber nicht daran denken, 
wie tief wir gefallen wären, hätten un 
sere Schutzengel nicht aufgepasst! 
Schutzengel, die gab es! Ich hatte ein 
Bild gesehen, auf dem ein Schutzen 
gel, mit rosa Flügeln, ein Mädchen 
über eine gefährliche Brücke führt. 
Das Bild hat mir als Kind besonders 
gut gefallen. Uns wurde erklärt, dass, 
obwohl die Schutzengel da sind, wir 
sie nicht sehen können. 
Der Glaube und die Religion waren in 
unserem Leben sehr wichtig. Die Reli-
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.