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Erinnerungen an Balzers
Vera Heymann Meier
Immer wenn wir nach Liechtenstein
fahren und bei Trübbach die Auto
bahn verlassen, sage ich zu meinem
Mann: «Fahr durchs Dorf!». Balzers -
in Balzers war ich einmal daheim.
Wir fahren über die Rheinbrücke,
eine Brücke zu meinen Erinnerungen.
Die neue Rheinbrücke wurde am
23. November 1968, an einem kühlen,
sonnigen Herbsttag, feierlich einge
weiht. Ich war elf Jahre und sang mit
meiner Schulklasse von bunten, we
henden Fahnen und einer Reise. Das
mehrstimmige Lied hatte uns Lehrer
Gstöhl (Georg Gstöhl) beigebracht.
Die Melodie habe ich heute noch im
Ohr. Die neue Rheinbrücke ist eine
breite, stabile Strasse über den Rhein.
Die alte Rheinbrücke war aus Holz
und sah aus wie ein Tunnel. Ich hatte
immer ein bisschen Angst, wenn ich
durch diesen Tunnel durch musste.
Die Bretter schienen lose. Wenn Autos
über die Brücke fuhren, wackelten die
Bohlen, und es knarrte - das typische
Brückengeräusch. Es kam auch vor,
dass ich zu Fuss über die Brücke ging.
Dabei konnte ich der Gefahr direkt
ins Auge schauen. Die Spalten zwi
schen den Holzbrettern waren so
breit, dass ich den Rhein darunter se
hen konnte. Das graue Wasser floss
schnell dahin, hatte auf seinem Weg
auch Bäume mit sich gerissen.
Die neue Rheinbrücke nahm mir mei
ne Angst. Gelassen kann ich den
Rhein betrachten, schauen, ob viel
oder wenig Wasser kommt, wo sich
Sandbänke gebildet haben und ob
sich dort Menschen aufhalten. Der
Blick über den Rhein, weiter über die
Felder von Balzers, dann zu den Häu
sern und zum Schloss, hinauf zu den
Bergen ist mir vertraut. Ich finde es
schön, immer wieder.
Wir nehmen weiter die Strasse Rich
tung Mäls. In der grossen Kurve führt
rechts die alte Strasse nach Trübbach,
die Rheinstrasse, die in meinen Erin
nerungen meistens leer ist. Es gab
eine Ausnahme: der Jahrmarkt in
Trübbach. Der Jahrmarkt hatte viele
verschiedene Marktstände. Es gab
Magenbrot und heisse Marroni, Luft
ballons, Puppen, Gewehre, Schmuck
und vieles mehr. In der Menschen
menge sah ich einen weissen Bären
aufrecht gehen und war beeindruckt.
Balzers hat seit 1990 einen eigenen
Jahrmarkt mit dem Motto: «Ob Räga,
Sunna oder Pföö, am Balzner Joor-
märt isch es schöö!» Natürlich ist es
schön in Balzers, mit und ohne Jahr
markt, bei jeder Witterung. Meine
Mutter hat immer gesagt, dass
Balzers die schönste Gemeinde im
ganzen Land sei.
Es war kein Jahrmarkt, aber ein ande
res grosses Ereignis meiner frühen
Kindheit, als auf dem Nachbargrund
stück eine «Scheffleschaukla» aufge
baut wurde. Bei Schlagermusik ging
es hoch hinaus. Wir lernten die ers
ten Schlagertexte. Dolly Gross-Kindle,
eine liebe Freundin, hat mir den Text
eines damals sehr populären Schla
gers aufgeschrieben: «Ein Schiff wird
kommen ...»
Wenn wir auf der Rheinstrasse in der
grossen Kurve nach links fahren,
kommen wir ins Mälsner Dorf. Die
vielen Häuser an der Strasse sind heu
te neu hergerichtet. Es wurde ange
baut und neu gebaut, verputzt und ge
strichen. Früher wirkte die Dorf
strasse auf mich, als wäre sie sehr alt.
In der Schule, im Heimatunterricht,
hatten wir ja auch gelernt, dass schon
die Römer in Balzers waren, dass sie
es damals «Palazoles» nannten. Was
für ein exotischer, schöner Name, der
dem Altsein von Balzers und seinen
Häusern einen ganz besonderen Reiz
verlieh.
Beim Brunnen in Mäls geht eine
Strasse ab zur Mariahilf-Kapelle. Un
sere Sonntagsspaziergänge führten
manchmal dorthin. Ich erinnere mich
an die Stille in der Kapelle, an beten
de Frauen und an die Sonne, wie sie
durch die Fenster fällt und den gemal
ten Kreuzweg beleuchtet. Wir beweg-