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Kleingewerbe im Höfle zwischen 1935 und
Markus Burgmeier
Definition von Kleingewerbe
Das Kleingewerbe, so wie ich es in der
vorliegenden Arbeit verstehe, ist so
wohl Handwerk als auch Dienstleis
tung. Ich habe aus diesem Grund ne
ben den «klassischen» Handwerksbe
trieben auch die Gasthäuser mit ein
bezogen. Sie waren Treffpunkt für
alle, hier tauschte man Erfahrungen
aus und knüpfte wohl auch Kontakte,
die wiederum Auswirkungen auf die
tägliche Arbeit im Kleingewerbe ha
ben konnten.
Der Kleingewerbler, wie er im Höfle
der dreissiger und vierziger Jahre leb
te und arbeitete, war in erster Linie
kundenorientiert: Er arbeitete vor
wiegend auf Bestellung, je nach Be
darf und Auftrag.
Sehr oft hätte man aus dem, was das
Kleinunternehmen abwarf, keine Fa
milie ernähren können. Deshalb be
trieben die meisten Gewerbler neben
ihrer handwerklichen oder gastrono
mischen Tätigkeit noch eine kleine
Landwirtschaft, die ihnen eine gewis
se Selbstversorgung ermöglichte.
Wirtschaftliche Rahmen
bedingungen in Liechtenstein
in der Zeit von 1935 bis 1950
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
war die liechtensteinische Bevölke
rung ausschliesslich auf die landwirt
schaftlichen Erträge angewiesen, denn
diese entschieden, wie viele Men
schen sich in Liechtenstein ernähren
konnten. Wegen der kleinen nutzba
ren Gesamtfläche und der Rheinnöte
konnte nur eine bescheidene Ein
kommensbasis aufgebaut werden.
Ausgelöst durch das Aufkommen der
Textilindustrie und der holzverarbei
tenden Industrie, war in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Zu
nahme von Wohlstand und Wohnbe
völkerung festzustellen. Die Land
wirtschaft nahm zwar ab, blieb aber
bis zum Zweiten Weltkrieg grösster
Erwerbszweig.
Die Regierung war vor und während
des Zweiten Weltkrieges gezwungen,
geeignete Massnahmen zur Eindäm
mung der Arbeitslosigkeit zu ergrei
fen. In zweifacher Hinsicht von Be
deutung war der Entschluss zum Bau
eines Binnenkanals: Einerseits konn
ten viele Arbeitslose für eine be
stimmte Zeit wieder einem Erwerb
nachgehen, andererseits entstanden
durch die Entwässerung von zum Teil
versumpften Böden neue Anbauflä
chen für die Landwirtschaft.
Am 14. Dezember 1930 zeigte sich die
Mehrheit des Volkes einverstanden
mit dem Bau eines Binnenkanals. Das
Abstimmungsergebnis: 1469 Ja, 616
Nein. Der Kanal konnte ohne Unter
bruch gebaut werden, so dass am
3.April 1943 durch das Fürstenpaar
der letzte Spatenstich zur Überleitung
des Balzner Mühlbachs in den neuen
Kanal erfolgte.
Während des Krieges war man durch
die Blockade der Alliierten von den
Rohstoffmärkten abgeschnitten und
die Versorgungslage verschärfte sich.
1940 propagierte Traugott Wahlen,
Professor an der ETH Zürich, den so
genannten «Wahlen-Plan», der besag
te, jede nur denkbare Anbaufläche
auszunutzen. Die «Anbauschlacht»
oder der «Mehranbau», wie dieser
Plan auch heisst, sollte die Eigenpro
duktion an Nahrungsmitteln fördern
und die Selbstversorgung garantieren.
Im Mai 1943 war die Drainage des
letzten Rietstücks in Balzers beendet.
Diese Fläche bot einen Mehranbau
von 50000 Klaftern. In diesen Jahren
mangelte es an landwirtschaftlichen
Arbeitern, obwohl einige Statistiken
eine hohe Beschäftigungszahl aufwei
sen. Doch bei diesen erfassten Be
950
schäftigten handelte es sich vorwie
gend um Arbeitslose, die «... nur auf
bessere Beschäftigungsmöglichkeiten
warteten». 1
Anfangs der vierziger Jahre wurden
Gewerbebewilligungen nur selten er
teilt. Die Nachfrage nach Arbeitskräf
ten war sehr stark, und zirka 200 fan
den Arbeit im kleinen Grenzverkehr.
1942 beschäftigte die Industrie unge
fähr 700 Arbeiter; 1943 erreichte die
liechtensteinische Industrie einen Be
schäftigungsstand von 827 Leuten. Im
selben Jahr erfuhren Industrie, Han
del und Gewerbe einige Einschrän
kungen in Bezug auf Neueröffnungen
und Erweiterungen von Betrieben.
Der Grund war die kriegsbedingte
Rohstoffknappheit.
Erst gegen Ende der dreissiger Jahre
gelang es, das aufzuholen, was wäh
rend zirka 25 Jahren mit Industriebe
trieben versäumt werden musste, weil
die Verhältnisse gegen eine solche In
dustrialisierung waren. Schliesslich
hatte Liechtenstein 1947 wieder den
Fabrikarbeiterstand erreicht, den das
Land schon 1914 aufwies.
Die Zahl der Gewerbebetriebe nahm
im Jahr 1945 zu, obwohl genaue
Überprüfungen bei Gewerbeansuchen
durchgeführt wurden. Die wachsende
Industrie übernahm in kürzester Zeit
viele Arbeitskräfte aus der Landwirt
schaft. Landwirtschaftliche Hilfskräf
te gehörten bisher eigentlich zu den
Arbeitslosen und warteten auf dem
Hof bei ihrer unproduktiven Tätigkeit
nur auf bessere Beschäftigungs
möglichkeiten, welche sie nun durch
eine ganze Reihe neu entstandener
Firmen erhielten.
Im Gegenzug dazu machte sich bei
den kleineren handwerklichen Gewer
bebetrieben die schwere Konkurrenz
der Serienfertigung zusehends be
merkbar. Im Rechenschaftsbericht