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Mensch? Ich bin der Überbringer von Freud und Leid, Liebe und Treue, ich lebe in Ur
fehde mit Donner und Blitz, ich breche die stolze Tanne im Wald, ich streichle liebko
send die Locken des lachenden, Kindes und stimme ein in seinen Jubel, ich weine mit
dir trauernde Witwe, der heute unsagbares Leid beschieden wurde, ich jage dir, vom
Tode Ereilten, mein brausendes Credo nach ins offene Grab. Unergründlich ist der Wille
unseres gemeinsamen Schöpfers, der Myriaden von Sternenwelten schuf und der mich
Euch auf seine Wege sendet zur ewigen Gottesverherrlichung!
Unterdessen war die Unglücksbotschaft in alle Häuser von Balzers gedrungen.
Nachbarn kamen, Männer mit ernstem Gesicht, Frauen, wegen des Föhnsturmes mit
Tüchern umhüllt. Sie alle hatte die Nachricht schwer getroffen, denn führerlos stand
nun die ganze Gemeinde einer verhängnisvollen, dunklen Zukunft gegenüber. Sie hatten
in diesem Toten nicht nur ihren langjährigen Richter, sondern auch, was noch schlim
mer war, ihren besten Kämpfer und Beschützer gegen die bösen Übergriffe der beiden
damals herrschenden Burgverwaltungen, verloren.
Unter den Angekommenen war einer der ersten der Gässlesepp, ein grosser, breit
schultriger Vierziger mit kühnem Gesicht, ein treu ergebener Freund des Toten. Stumm
trat er an das Totenbett und fasste die Hand seines toten Freundes. Ein starkes Schütteln
durchlief seine Brust und schwere Tränen fielen auf die für immer erkaltete Hand. Be
bend, stossweise kam es von seinen Lippen: «Wo du auch sein magst, Karle, der Sepp ist
bei dir. Hab keinen Kummer wegen Weib und Kind, für sie stehe ich ein in jeder Lage.
«Und jetzt», auf Lodovicka zugehend und ihre Hand erfassend, «jetzt werden wir ihn
schön herrichten, er hat es verdient.»
Emsig gingen sie nun daran, ein Paradebett aufzubauen, den Toten zu waschen, zu
bekleiden und zu schmücken. Da, auf einmal klopft eine weisse Hand stürmisch an den
Putzenscheiben. Gleich war der Bernhard beim Fenster. Oh, die Karin! Die Karin aber,
ohne die vielen Menschen zu beachten, rief in stossweise überstürzten Worten: «Mutter,
Mutter, die Holzer Christel in der Iradug liegt in ihrer schweren Stunde, kein Mensch ist
dort, fünf Kinder weinen durcheinander, eine unvorstellbare Armut, kein Leintuch im
Schrank, Küche und Kasten gähnend leer! Sie ruft immer nur das eine Wort:
Lodovicka!» Ein schöner blonder Mädchenkopf wird sichtbar in der Tür, und dann gellt
ein Schrei, wie ihn nur tödlicher Schreck herauszubringen vermag. Bernhard sprang
hinzu und konnte die ohnmächtig Hinsinkende noch auffangen und in ihre Kammer
tragen.
Ein Gemurmel und Durcheinander von Stimmen war vernehmbar. Lodovicka
wusste nun um die Not der Christel, wusste, dass sie zu ihr kommen muss. Entschlossen
trat sie zu ihrem toten Karl hin. «In Gottes Namen, wo du auch bist, ich werde immer
bei dir sein», sprach sie, küsste ihn auf die Stirn und wandte sich dann rasch um, denn
die Pflicht am Nächsten war zu erfüllen. Rasch informierte sie ihre Vertrauten, gab Wei
sungen. «Armin», sagte sie «ich muss heute nacht bei der Christel sein, schau Du nach
dem Rechten, wenn ich nicht da bin, der Sepp wird Dir beistehn.» Senz, die Hausmagd,
musste Wäsche und Essen für die Christel und deren Kinder richten, der Bernhard
musste sie begleiten. Bald traten Lodovicka und der Bernhard aus dem Hause, hinein in
die finstere, brodelnde Föhnnacht. Wie fest auch der Bernhard mit seiner schwerbelade