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Nelly Stamm (1940)
Durch den Arbeitsplatz meines Mannes in der Balzers AG kam unsere Familie aus dem Schaffhausischen ins
Rheintal nach Azmoos. 1972, zwei Jahre später, übersiedelten wir nach Balzers in die Elgagass. Wir waren
richtig stolz auf unser neues Zuhause, direkt unter dem Schloss Gutenberg, das wir unseren Besuchern schon
bald als «üsers Schloss» vorzeigten. Wir als Flachländer fanden es imposant, in einer Talsohle zu leben,
umringt von hohen Bergen. Man kann vom Frühjahr bis Flerbst von der Haustüre weg Wanderungen nach
den verschiedensten Richtungen unternehmen. Auch für den Wintersport sind Skipisten oder Langlaufloipen
in nächster Nähe vorhanden. Wenn wir heute an die ersten Erlebnisse und Erfahrungen in Balzers zurück
denken, müssen wir öfters noch schmunzeln, wie über das unkomplizierte, für uns aber ungewohnte Du. So
spazierte ich mit dem Kinderwagen ins Mälsner Dorf zum Einkäufen. Unterwegs hielt mich ein älterer Mann
auf und sagte: «Hoi! Wämm ghöörscht dänn du, Määtle?» Verlegen sagte ich: «Ich bin ka Balznere, ich bin
eine Zugezogene.» Auch die Kinder, die an mir vorbeigingen, riefen: «Hoi!». Ich grüsste einfach auch mit
einem freundlichen «Hoi!» zurück.
Als aufgeschlossene und kontaktfreudige Person hatte ich eigentlich keine Mühe, mit den verschiedensten Leu
ten ins Gespräch zu kommen, wenn ich meine Kinder in die Schule oder in den Kindergarten begleitete oder
wenn ich einkaufen ging. So erfuhr ich auch über die Institution des Frauen- und Müttervereins, dem ich als
Mitglied beitrat.
Eine besondere Bedeutung für mich persönlich hat das Alter. So stelle ich mich gerne für Kirchfahrten zur
Verfügung und helfe mit an Seniorennachmittagen (gemütlicher Kaffeehock). Seit zehn Jahren arbeite ich
bei der Familienhilfe Balzers als Betagtenbetreuerin. Da ist man nicht nur als Arbeitskraft, sondern auch als
Gesprächspartnerin gefragt, und ich konnte schon so vieles aus früheren Zeiten erfahren.
Sportlich und kulturell hat Balzers besonders viel zu bieten. So wurden 1975 ein Hallenbad und eine Dreifach
turnhalle gebaut. Ich erfuhr, dass es unter anderem einen Tischtennisclub gibt. Einen Abend lang verfolgte
ich diesen schnellen Sport und war davon so begeistert, dass ich dem Verein sofort beitrat und heute, mit bald
sechzig Jahren, immer noch aktiv mitspiele (zweimal Landesmeisterin). Stolz bin ich auf die Operette
Balzers, bei der sowohl vor wie hinter den Kulissen zum grossen Teil Einheimische mitwirken.
Für eine gute Idee halte ich auch die alljährlichen Gemeindewanderungen. Wir benützten mit unseren Kindern
so jede Gelegenheit, die neue Heimat kennen zu lernen. Heute sind es mein Mann und ich, die gerne mitwan
dern und den Kontakt mit den Balznern aufrechterhalten.
In der ersten Zeit in Balzers fielen mir die vielen Kirchgänger auf, Jung und Alt. Noch heute bin ich beeindruckt
von der Fronleichnamsprozession, dem Einzug der Erstkommunikanten und Firmlinge, begleitet von der
Harmoniemusik. Da ich in einer katholischen Minderheit (Diaspora) aufgewachsen bin, kannte ich dies alles
nicht. Gerührt waren wir von der Anteilnahme der Bevölkerung anlässlich der Pilzvergiftung unserer Familie
im Jahr 1983. Spontan wurden unsere jüngsten Kinderbei «Pflegefamilien» untergebracht und bestens betreut.
Mit dem ältesten Balzner, dem «Pföö», machten wir auch schon unsere Erfahrungen. In der Lowal wurde uns
einmal ein Drittel des Hausdaches weggefegt. Die Kinder hingegen hatten mit dem Föhn weniger Probleme.
Sie liessen sich von den Windstössen treiben, indem sie auf Rollschuhen ein Stoffsegel in der Hand hielten.
Unsere Kinder Daniel, Thomas und Sandra erlebten eine schöne Schul- und Jugendzeit. Im Gegensatz zu uns
Eltern haben sie den Balzner Dialekt schnell angenommen. 1992 konnten wir schliesslich auch unseren sehn
lichsten Wunsch nach einem eigenen Heim verwirklichen. Damit ist zum Glück der vierte Wohnungswechsel
in Balzers wohl definitiv der letzte Umzug gewesen.
Abschliessend möchte ich sagen, dass wir gerne in Balzers leben und wohnen. Auf dem Papier bin ich zwar eine
Schweizerin, aber im Herzen eine Balznerin.