Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2000) (2000)

Wenn man als Kind der Stadt Wien richtige Berge oder Wälder sieht, dann nur in den Ferien. Ich habe ein Jahr ge 
braucht, um zu realisieren, dass ich hier in Balzers, wo ich mit meiner Familie seit achtzehn Jahren wohne, nicht in 
den Ferien bin. Jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit nach Vaduz habe ich die Berge gesehen, wie der Schnee schmilzt, die 
Wiesen und Wälder grün werden. Es war ein toller Anblick, und ich kam richtig aufgestellt ins Büro. Das Balzner 
Schloss war am Heimweg wieder der Markstein: wie ein Leuchtturm, auch wenn die Nebel im Herbst die Leuchtkraft 
schmälerten. Da bist du zu Hause. 
Balzers war ganz anders für mich - nicht daheim und doch zu Hause. Ohne unsere verzweigte Lamilie wäre ich sicher 
einsam gewesen. Nicht was den Kern der Familie betrifft, vielmehr die Anrede zu den Leuten im Ort. Ein «Hoi, bischt 
im Schuss?» Das war’s dann schon. Ich habe verstehen gelernt, warum das so ist. Seit Jahrhunderten war man 
misstrauisch gegenüber Fremden, hat als Grenzort, an einer der Hauptverbindungen in den Süden, schwer gelitten, 
und das prägt den Menschenschlag. 
Wenn ich jemanden einladen wollte, so wie ich es von zu Hause gewohnt war, hörte ich von meiner Frau: «Das ist bei uns 
nicht üblich.» Und die wenigen Versuche, die daraus resultierten, waren nur einseitig. Also habe ich mich angepasst. Es 
war mir klar, dass am Stammtisch kein Platz für mich war, ausser ich wurde dazu eingeladen. Meist war es Neugier und 
der Wunder, «was das för än ischt». Jetzt lebt er da mit jemandem von uns. Man hat die Neugierde gestillt und erfuhr 
die ganze Wahrheit. «Bischt jo ned schiächt, zalscht d Stüüra wia ii, aber wänn du uf Gmäänd gooscht zor libörgereg - 
i stimm gega dii!» In vino (cervizia) veritas. Selbst in Diskussionen im Verwandtenkreis war das Ausländerthema latent 
vorhanden. Denn schon ein Balzner oder Mälsner zu sein, macht einen Unterschied. Die Jahre des Getränkehandels 
nach dem Tod des Schwiegervaters waren die, die mich versöhnt haben und mir Gelegenheit gaben, mit vielen 
Balznern zu reden und sie auch kennen zu lernen. Ich bekam das Gefühl dazuzugehören. 
Ich spüre, dass ich Farbe angenommen habe. Wenn ich in Wien oder sonst wo in der Welt von zu Hause erzähle, ertappe 
ich mich dabei, zu sagen: «Bei uns z Balzers ist das anders.» Und die Gäste und Freunde, die uns besuchen kommen, 
beneiden mich um die Berge, die Ruhe, die Natur rundherum und selbst um den Föhn, weil er warm ist. Balzers ist zu 
meiner Heimat geworden mit allem Drum und Dran, was dazugehört. Leider gibt’s noch keinen Heurigen, der fehlt 
mir! Trotzdem möchte ich nicht mehr woanders wohnen oder leben. Denn es ist heute für mich, wenn ich von auswärts 
komme, noch immer so wie früher, als man den Kindern, die raunzig und müde waren, sagte: «Schau, ich sehe schon 
das Schloss, da sind wir zu Hause.» Denn dort unterm Schloss, da bist du zu Hause - da ist Balzers. 
Reinhard Sinn (1947)
	        

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