66
Roland Marxer (1947)
Wer hätte vor bald fünfzig Jahren gedacht, dass ich Nachstehendes in rela
tiv grosser Gelassenheit schreiben könnte. Es fing damit an, dass ich als
Kleinkind von Mauren über Triesen nach Balzers verpflanzt wurde. Der
damalige Fortschritt im Vergleich zu Balzers bestand in Mauren zumin
dest darin, dass ich dort schon den Kindergarten besuchen konnte und in
den Genuss von «Heuferien» kam, obwohl ich kein Bauernkind war, bei
meiner Ankunft in Balzers aber wieder in den kindergartenlosen Zustand
versetzt wurde, weil man hier erst ab fünf Jahren eintreten konnte. Das
hatte nichts mit einem «Auswärtigenproblem» zu tun, sondern war ein
fach so. Umso schneller war ich dann im Kindergarten integriert und
dazu aufgerufen, etwa in Krippenspielen gleich in Hauptrollen aufzutreten.
Das gab mir auch die Zuversicht, wem immer gegenüber, der mich danach
fragte, zu sagen, ich sei ein Balzner. «Oha lätz!» Da kam ich jahrelang in
meiner Unschuld falsch an: «Wämm ghöörscht dänn du?» war die Zusatz
frage. «Am Wilhelm Marxer» meine Antwort. Flugs folgte der Kommen
tar: «Dänn bischt du aber kän Balzner!» - was weniger mich, viel mehr
aber meine Eltern (ein internationales Paar; mein Vater aus Mauren, mei
ne Mutter Schweizerin) intensiv beschäftigte. Solche Aussagen hatten
praktische Konsequenzen: Erwiesenermassen lag es nicht drin, dass ich,
obwohl guter Skifahrer, ein Kinderskirennen in Balzers gewinnen konnte
bzw. durfte. Der Hauptpreis musste an einen Rennkollegen mit Balzner
Pass verliehen werden. Ansonsten war ich in meiner Karriere kaum einge
schränkt. Man liess mich als Oberministrant, Jungwachtmitglied,
Pfadfinderführer, Funkenbauer, Fussballspieler, Sänger usw., ja sogar als
Operettenpräsident gewähren, ohne von meiner «Auswärtigkeit» weiter
Notiz zu nehmen. Ins Alprecht musste ich mich bzw. meine Frau (die
kommt aus Schaan: nochmals fremdes Blut, aber erst zu einer Zeit in
Balzers, als das nicht mehr wichtig war) nicht einkaufen, da ich kein An
recht auf Balzner Gemeindenutzen hatte und habe. Trotzdem hatte mich
der Vorsteher Mane damals eingeladen, am Büchlein «Balzers, unser
Dorf», zusammen mit Hans Brunhart und Ewald Kaufmann (der uns lei
der allzu früh verlassen hat), mitzuwirken, was ich auch gerne tat und
gerade über das Alprecht und den Gemeindenutzen schrieb. Dabei
musste ich aber als strenger Wächter über meinen Status sogar den Mane
in seinem Vorwort korrigieren, weil er mich zusammen mit den beiden
anderen Autoren als «unsere Mitbürger» bezeichnete, während ich doch
nur ein Mitbewohner bin - wenn man es ganz genau nimmt.
Die Zeiten haben sich geändert. Ich wünsche mir für alle, die nach Balzers
kommen, die Offenheit seitens der Balzner, die sie mir - wenn auch mit
einiger Verzögerung - nunmehr seit Jahren entgegenbringen. Diese Of
fenheit ist die Voraussetzung, dass es mit Balzers weiter vorwärts geht.