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Lorenz Kaufmann (1929)
Im Haus Nr. 93, Gatter in Mäls, erlebte ich zusammen mit vier Geschwistern eine glückli
che Kindheit. Meine Jugendjahre fielen zum Teil in die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Ich
erinnere mich noch gut, wie ich manchmal nachts aus dem Schlaf aufschreckte, wenn
die schweren Bomber der Alliierten herannahten, um ihre verderbliche Last im Feindes
land abzuwerfen.
Mein Vater führte während einiger Jahre die Kriegswirtschaftsstelle in Balzers, d.h. er war
verantwortlich für die Ausgabe der Lebensmittelkarten. Wie in der Schweiz wurde auch
hier im Lande die Rationierung eingeführt. Es wurden an alle Haushalte Lebensmittel
karten verteilt, wobei die Ausgabe jeweils am letzten Sonntag im Monat vom Weibel nach
dem Amt auf dem Vorplatz der Kirche bekannt gegeben wurde («Verrüeffa»).
Für Hausschlachtungen benötigte man ein spezielles Formular, das bei uns abgeholt wer
den konnte. Der damalige Fleischschauer musste dann das Fleischgewicht eintragen,
aufgrund dessen die monatlichen Rationen gekürzt wurden. Beim Vorbereiten für die
Ausgabe der Lebensmittelkarten half ich, die Fleischmarken abzutrennen, und zwar so
lange, bis das auf dem Schlachtschein eingetragene Gewicht erreicht wurde. So ging das,
bis die Rationierung endlich aufgehoben wurde.
Nach dem Krieg sah man ab und zu die ersten Kleinmotorräder, unter anderem auch die
Marke Moto Guzzi. Ich wäre sehr gerne einmal einen solchen «Töff» gefahren. Ein guter
Bekannter von mir besass so ein Gefährt und erlaubte mir, dieses auszuprobieren, was
mich natürlich riesig freute. Ich fuhr los in Richtung Mariahilf-Kapelle und weiter. Als
ich aber den Motor abstellen wollte, um umzudrehen, hatte ich keine Ahnung, wie das
gehen sollte. Mir fiel nichts anderes ein, als auf die Wiese in das hohe Gras zu lenken, wo
dann der «Karren» tatsächlich auch stehen blieb.
Nach Absolvierung meiner Lehre bei einer liechtensteinischen Bank wurde mir vom Ar
beitgeber die Gelegenheit geboten, im Herbst 1949 nach London zu gehen, um meine
Englischkenntnisse zu verbessern. Die Reise nach London und der dortige Aufenthalt
waren zu jener Zeit, vor fünfzig Jahren, im Gegensatz zu heute, eine kleine Sensation. Ich
war von dieser Millionenstadt sehr beeindruckt, kehrte aber gerne in mein Balzers zu
rück, wo ich mich wie früher wieder mit Freunden und Kameraden treffen konnte.
An einem Sonntagnachmittag machten wir uns auf den Weg zur Burg Gutenberg. Wir wur
den uns einig, irgendwie in das Schloss einzudringen, wo wir einen guten alten Tropfen
Wein vermuteten. Über eine Aussenmauer gelangten wir in den Innenhof der Burg und
fanden unsere Vermutung bestätigt. Wir alle genossen den herrlichen Tropfen Wein, wo
bei sich allerdings das Sprichwort «Und sie kannten die Kraft des Weines nicht» sehr
bald bewahrheitete. Wir fingen an, uns gegenseitig mit gefundenen Waffen zu bekriegen,
wobei ich beinahe von einer heranfliegenden Wurfaxt getroffen wurde. Zum Glück blieb
die Axt in dem neben mir stehenden Holzpfeiler stecken. Die ganze Szene endete
schliesslich mit dem Hinauswurf eines alten Globus, der über die Felswand hinunter in
Brüche ging. Durch selbstverschuldete Indiskretion kam aber die ganze Sache nach einer
gewissen Zeit doch zu Tage, und die Täter wurden ausfindig gemacht. Als Strafe musste
ein jeder von uns zwanzig Franken in den Balzner Armenfonds bezahlen. Das war wohl
der letzte «Lausbubenstreich», bei dem ich dabei war.