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Balzers und Mäls in
Jahrhundertschritten
Jahrhundert- und Jahrtausendwechsel
geben auch Gelegenheit, kurz einige
geschichtliche Entwicklungen zu be
trachten und sich an dieses oder jenes
historische Ereignis zurückzuerin
nern. Das wollen wir in einigen Jahr
hundertschritten in Bezug auf die Ge
meinde Balzers machen.
Die Geschichte des Dorfes reicht weit
zurück, sein Gebiet ist seit der Jung
steinzeit Siedlungsplatz. Balzers ist die
südlichste nachgewiesene Fundstelle
der Rössener Kultur (3000 v. Chr.).
Keramikreste aus der frühen Bronze
zeit und Gefässreste der Melauner
Kultur bezeugen weitere Besiedlung.
Diese Funde werden ergänzt durch
hallstättische oder La-Tène-zeitliche
Anhänger aus Bronzeblech. Besondere
kulturgeschichtliche Bedeutung haben
die aufgefundenen Weihegaben aus
einem vorchristlichen Gutenberger
Heiligtum: etwa die bronzenen Figu
ren von Hirsch und Eber als heilige
Tiere der Kelten und der berühmte,
12,8 cm grosse Krieger, der «Mars von
Gutenberg», mit einem Lederpanzer.
Eine Kopie ziert den Brunnen bei der
Kreuzung Gnetsch-Fürstenstrasse. Die
Figuren dokumentieren die kulturel
len Einflüsse.
Um das Jahr Null (Eins)
Kurz nach dem Jahre Null der christ
lichen Zeitrechnung kam Bewegung
in die nördliche Alpenseite. Das römi
sche Reich expandierte; nach der Er
oberung Rätiens 15 v. Chr. gelangte
unsere Gegend in seinen Machtbe
reich. In Balzers sind mehrere römi
sche Fundstellen nachgewiesen (Höffe,
Amtshaus, Fürstenstrasse, Winkel und
andere), Fundamente römischer Mau
ern, Grabstätten, Schmuck und Mün
zen, eine Schüssel aus dem Amtshaus
mit dem ersten in Balzers erwähnten
Namen Silvinus, dem Besitzer der
Schüssel. Die bekannte römische Stras-
senstation Magia ist wohl in Balzers
zu lokalisieren. Die einheimische räti-
sche Bevölkerung wurde nach und
nach romanisiert. Die sprachhisto-
rische Schichtung wird in den alten
Flurnamen sichtbar. Die Flurbezeich
nungen romanischen Ursprungs sind
in Balzers und Mäls zahlreich. Die
Christianisierung erfasste das Gebiet.
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Um das Jahr 1000
Religiöse Angst prägte das Leben der
mittelalterlichen Menschen weit stär
ker als das heute der Fall ist. Dennoch
war, allgemein gesehen, der Übergang
vom ersten zum zweiten Jahrtausend
der christlichen Ära weniger von End-
zeit- oder Weltuntergangsstimmung
geprägt, als man sich das vorstellt. In
längerfristiger Perspektive bildete das
10./11. Jahrhundert in der europäi
schen Geschichte eine Zeit des Über
gangs, des tiefgreifenden sozialen und
geistigen Wandels. Das romantisch
realistische 19. Jahrhundert malte -
etwa durch Jules Michelet und Felix
Dahn - phantasievoll und farbig ein
Schreckensbild für das Jahr 1000. Es
erzählte vom Blutregen als apokalyp
tischem Zeichen, vom Entsetzen und
der Flucht der Menschen vor dem her
einbrechenden Weitende - was sich
aber, wie so vieles, als neuzeitliche Le
gende entlarvte.
Zweifellos herrschte aber, wie Quellen
zeigen, eine grössere Unruhe als
sonst. Die kollektive Angst und Be
klommenheit vor dem Jahr 1000 war
die Frucht der in den Jahrzehnten zu
vor von Gelehrten und Seelenhirten
immer wieder ausgesprochenen War
nung vordem «Bald» und dem «Jetzt»
des Weltuntergangs und damit des
Jüngsten Gerichts. Die mehr als heute
an die Gegenwart des Todes gewöhn
ten Menschen fürchteten nicht den
Untergang, sondern das damit ver
bundene Gericht und die Strafen.
Weitaus mehr Menschen als in den
Ausschnitt aus der Peutingerschen Ta
fel, auf der die Station Magia (einge
kreist) zwischen Clunia (links) und
Curia (rechts) angeführt wird.
Jahren und Jahrzehnten zuvor pilger-
ten nach Jerusalem, weil die Ankunft
des Antichristen als bevorstehend
galt. Die Christianisierung Europas
machte damals grosse Fortschritte:
Russland wurde seit 989 von Byzanz
aus christianisiert, in Schweden (994)
und in Norwegen (995) traten erst
mals christliche Könige die Herr
schaft an, Ungarn (997) wurde chris
tianisiert, in Nordspanien formierte
sich ein Bund christlicher Königrei
che gegen das expandierende mau-
risch-islamische Kalifat Cordoba.
In ganz Europa hatten sich die gewal
tigen demographischen Verschiebun
gen (Völkerwanderung 350-1000) mit
ihren verheerenden Wirkungen auf
Bevölkerung, Produktion, Handel,
Geldumlauf, Städte, das kulturelle und
zivilisatorische Niveau, die Verwal
tung und Schriftlichkeit bis zum Jahr
1000 beruhigt. Es begann sich lang
sam ein europäisches System heraus
zubilden. Die Völkerwanderung war
mit der Sesshaftwerdung der Norman
nen beendet, die Christianisierung
durchgesetzt, der Fernhandel mit sei
nen sozialen und ökonomischen Fol
gen wieder belebt. Städte entstanden
als neues Element, das Land wurde
ausgebaut, beides war Ausdruck des
starken Bevölkerungswachstums um
die erste Jahrtausendwende.