Volltext: Balzner Neujahrsblätter (2000) (2000)

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Zeitenwende - Wendezeit 
Balzers von Jahrhundert zu Jahrhundert 
Arthur Brunhart 
Jahrhundert- und Jahrtausendwenden 
provozieren Ängste und Erwartungen. 
Die Tatsache, dass auf ein rational ge 
sehen höchst belangloses Ereignis 
wie das Jahr 2000 mit einem giganti 
schen medialen Aufwand reagiert 
wird, lässt sich zwar mit dem Interes 
se an irgendwelchen Formen von 
Nachrichten erklären. Darüber hin 
aus werden dank der Aufmerksam 
keit, die dem banalen Ereignis gewid 
met wird, auch soziale Befindlich 
keiten erzeugt Passieren wird beim 
Übei gang von diesem Jahrtausend 
zum nächsten nichts. Die Bedeutung 
der ganzen Angelegenheit wird allein 
schon dadurch relativiert, dass die 
Behauptung im Raum steht, zwi 
schen dem 31. Dezember 1999 und 
dem 1. Januar 2000 finde gar kein 
Jahr tauscndwcchscl statt, weil das 
neue Jahrtausend erst am 1. Januar 
2001 beginne. Schuld an dieser Ver 
wirrung ist eine Eigentümlichkeit der 
christlichen Zeitrechnung, deren An 
fangsjahr mit «Eins» und nicht mit 
«Null» beziffert wird. 
Jahrhundertwende und 
Endzeiterwartung 
Mit Jahrhundert- und Jahrtausend 
wechseln verbunden sind Spekulatio 
nen über Weltuntergang und Endzeit 
erwartung, Sektierertum, religiöse 
und apokalyptische Erwartungen, die 
auf dem Hintergrund eines oftmals 
übersteigerten Krisenempfindens spe 
zifische Reaktionen (Chiliasmus, Mes 
sianismus und andere) auslösten. Mit 
Apokalypse sind visionäre Beschrei 
bungen eines historischen Endzu 
standes oder Endkampfes gemeint, 
der Übergang von einer sündigen 
weltlichen in eine heile göttliche Welt. 
Solche Visionen bewegen die Men 
schen seit Jahrhunderten und sind 
universeller Natur. Die Inkas etwa er 
warteten ein besseres Zeitalter mit 
der Wiederkunft von König Inkarri, 
im christlich-abendländischen Kul 
turkreis erschienen beispielsweise die 
Figuren von Antichrist und Endzeit 
kaiser. 
Die These vom Ende der Geschichte 
ist uralt und kehrt immer wieder zu 
rück. Sie zeigt sich in den verschie 
densten Formen: Pessimismen der 
Pharaonenzeit, Lehren der altorien 
talischen Weltreiche, eschatologische 
Bewegungen im alten China, Offenba 
rung des Johannes, millenaristische 
Entwürfe des Mittelalters, Karl Marx' 
Vision von der klassenlosen Gesell 
schaft, Oswald Spenglers «Untergang 
des Abendlandes», gegenwärtig in 
Francis Fukuyamas «Ende der Ge 
schichte» und in weiteren Diskurs 
apokalypsen. 
Solche Endzeitvorstellungen wurden 
immer wieder gerne auf Jahrhundert 
enden bezogen - fragwürdigerweise, 
wie eine Auswertung von Dokumen 
ten über die Wenden von 1300 bis 
1900 durch Arndt Brendecke belegt. 
Kulturkritik und Weltablehnung ver 
binden sich, lokale oder regionale Ka 
tastrophen werden als Indikatoren ei- 
Vorchristliche Bronzefiguren der Gu 
tenberg-Gruppe: Mann, Eher, Krieger- 
figur, Hirsch 
ner kommenden universellen Kata 
strophe angesehen. Das Warten auf 
das Ende einer Zeitphase ist manch 
mal mit der Erwartung des Endes al 
ler bisheriger Verhältnisse verknüpft 
oder mit der Hoffnung, bestimmte 
Verhältnisse oder Lebensbedingun 
gen aufgeben zu können. Angst wird 
zur Erwartung umformuliert, Erwar 
tung zur Katastrophenangst. 
Gegenwärtig ist erneut ein Wiederauf 
leben der Apokalypse festzustellen, die 
Ängste und Hoffnungen nährt. Es tre 
ten Weltuntergangspropheten auf, die 
sich an der Bibel, an Nostradamus 
und den Astrologen orientieren. Es 
wimmelt von Endzeitvorhersagen. 
Nur der Zeitpunkt lässt sich - ironi 
scherweise - nicht so genau feststel 
len und bisherige (schon abgelaufene) 
Prognosen stellten sich in kläglicher 
Weise als falsch heraus.
	        

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