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Walter Bühler (1944)
Seit Mai 1991 stehe ich im Dienste der Pfarrei Balzers. Ich kannte das
Dorf und die Bevölkerung schon ein wenig, da ich von 1963 bis
1965 als Gymnasiast im Lyzeum Gutenberg war und von 1975 bis
1978 als Religionslehrer an der Realschule und als kirchlicher
Erwachsenenbildner des Dekanates Liechtenstein wirkte.
Balzers ist eine landschaftlich schön gelegene Gemeinde mit einer
romantischen Burg in der Mitte. Die Bevölkerung erlebe ich als
selbstbewusst, ordentlich, freundlich und umgänglich. Sie ist ver
wandtschaftlich eng vernetzt. In den vergangenen fünfzig Jahren
hat sich das Dorf stark gewandelt. Die vielen Neuzugezogenen ha
ben frisches Blut gebracht und offenere Einstellungen bewirkt. Das
kulturelle Erbe ist beachtlich. Materiell geht es den meisten Leuten
recht gut. Der Wohlstand nagt aber an den christlichen Werten und
Einstellungen, und es findet ein Rückzug ins Private statt. Diese
soziologische Situation prägt auch die Pfarrei.
Die Pfarrei Balzers reicht mehr als tausend Jahre zurück. Ihr Ur
sprung verliert sich im Dunkel nicht dokumentierbarer Geschichte.
Es ist schön, auf eine so lange Zeit christlicher Tradition blicken zu
können. Die Frage ist aber, ob und wie diese Tradition weitergeht.
Die kirchlichen Veränderungen der letzten drei Jahrzehnte sind
gross: Die Kirche ist noch im Dorf, aber das Dorf ist nicht mehr in
der Kirche, d.h. nicht mehr in den Gottesdiensten. Die rückläufige
Gottesdienstteilnahme macht sichtbar, dass die Kirche das persön
liche und öffentliche Leben nicht mehr stark prägt. Die Menschen
haben sich vom kirchlichen Zwang und von einer angstbesetzten
Religiosität befreit. Zudem ist die Religion ins Private abgedrängt
worden.
Ich fälle kein Urteil, wie der Glaube in Balzers im Allgemeinen be
schaffen ist und ob die Leute (noch) beten. Aber die Kinder zur
Taufe bringen und die Sakramente der Kommunion und der Fir
mung feiern ist mehr unbefragte Tradition als bewusste Entschei
dung für ein ernsthaftes Leben nach dem Evangelium. Die christli
che Erziehung wird bejaht, man vermag sie aber nur bruchstück
haft zu leisten. Ebenso wird der schulische Religionsunterricht be
jaht. Was wäre, wenn er ausserhalb der Schulzeit stattfände? In
Bezug auf die kirchlichen Trauungen habe ich den Eindruck, dass
viele sich nicht definitiv einem Partner Zusagen wollen oder sich
ein heute übliches grosses Hochzeitsfest nicht leisten können. Viele
Paare heiraten gar nicht öffentlich oder nur zivil. Gerne nimmt
man die Dienste der Kirche in Anspruch bei Krankheit, im Alter
und bei der Bewältigung des Sterbens. Es liess einmal jemand die
Bemerkung fallen, Balzers sei eine Beerdigungspfarrei.
Die Pfarrei St. Nikolaus an der Jahrhundertwende: Manches stirbt
ab, aber es wächst auch Neues. Es wird sichtbar in der engagierten