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Inge Büchel (1943)
Blutjung bin ich, damals vor 35 Jahren, nach Balzers gekommen. Die Hochzeit fand einen
Tag vor meiner Volljährigkeit statt. Fast hätte ich noch die Unterschrift von meinem Papa
gebraucht.
«Guata Tag, wämm ghöörscht?» So begrüsste mich der «Vrena Sepp», als ich das erste Mal
an ihm vorbeiging. Er unterbrach dabei seine Arbeit vor dem Haus, wo er gerade seine
«Sägessa» dengelte. «Aha, s Kaspers-Klemänza Klemänz ghöörscht du. Gäll, du kunscht
vo Schaa uffa? S Davidles Lena hät mers gseet. S Gottfreda-Hansa Guidos Frau, wo bi eu
domma woont, ischt jo oo a Schaanere! Jo, jo, ma ka überall läba!» Er hatte Recht. Allen
Unkenrufen meiner damaligen Freunde zum Trotz: Man kann in Balzers leben! Obwohl
ich noch heute mit Stolz sage, dass ich eine geborene Schaanerin bin, hatte ich doch nie
Heimweh. Was aber machte dieses Balzers zu meinem zweiten Zuhause? Ich glaube,
dass es ganz einfach die Bewohner dieses Dorfes sind, allen voran meine Nachbarn, die
dazu beitragen, dass ich mich hier so wohl fühle. Man war sofort per Du, obwohl man die
älteren Leute respektvoll noch mit Ihr anredete.
In vielen Gesprächen über den Zaun hat man Freud und Leid miteinander geteilt. Man half
sich, wenn die Not es erforderte. Man lachte miteinander in freudvollen Tagen und wein
te und betete für- und miteinander, wenn leidvolle Zeiten unseren Alltag bestimmten.
Und so ist es noch heute!
Die gute Nachbarschaft hat auch meinen Kindern eine fröhliche Jugendzeit beschert. Ob
wohl sie schon längst flügge geworden sind und das Elternhaus verlassen haben, sind sie
heute noch in allen Häusern herzlich willkommen, und unser Garten wird nach wie vor
von Nachbarskindern zum Spielen benutzt.
Viele Leute lernte ich damals beim Kirchgang kennen. Die meisten gingen noch zu Fuss in
die Sonntagsmesse. Jung und Alt füllten die Kirche bis auf den hintersten Platz! Man
konnte so das Wachsen und Gedeihen der Familien miterleben, auch wenn man Dorfteile
auseinander wohnte.
Als ich anfangs noch in einer Vaduzer Arztpraxis gearbeitet habe, konnten mich die
Balzner Patienten auch im Alltag erleben, was mir den Einstieg als Balznerin sicher auch
erleichterte. Ich habe in dieser Zeit das Zuhören gelernt, erfuhr so das Nichtaus
gesprochene und konnte darum hier und dort helfend und ratend den Leuten beistehen.
So bin ich langsam ins Dorfleben hineingewachsen. Es gab damals noch nicht so viele
Fremde im Dorf. Man kannte fast jeden und jede. Ich fühlte mich zwar nie fremd, spürte
aber, wie man mich anfangs beobachtete. Es wurde mehrmals betont, dass ich eine «an
dere» sei. Diese Bemerkungen machten mich damals als Liechtensteinerin sehr traurig.
Ich habe mich dann oft gefragt, wie sich wohl die wirklichen Ausländer hier fühlen. Diese
Begebenheiten liessen aber trotzdem keine Anpassungsschwierigkeiten aufkommen.
Nur das «Schaaner Tempo» konnte ich bis heute noch nicht ablegen.
Ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich in Balzers daheim sein darf. Ich liebe die Ge
gend, in der ich wohne. Ich liebe die Menschen in diesem Dorf mit all ihren Ecken und
Kanten und bin froh, dass ich mit meinen auch angenommen bin. All das ist mir aber
nicht selbstverständlich, sind doch so viele Menschen weltweit auf der Flucht, auf der
Suche nach einem Zuhause. Sollten wir darum nicht öfters dem lieben Gott eine Stunde
des Dankens in der heiligen Messe schenken? Das wäre mein Herzenswunsch fürs neue
Millennium!