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selbst. Einige Kinder tranken zu
schnell, und anderen war ein Glas zu
viel und schoben es desshalb dem
Nachbarn oder der Nachbarin zu. Die
Kinder waren ungemein gut aufge
legt, lachten und scherzten und hat
ten grosse Freude, - das alles bewirk
te, dass der wenige Wein ihnen in den
Kopf stieg. Als ich bezahlt hatte und
mit den Kindern wieder auf der Stras
se mich befand, musste ich leider
Gottes die Beobachtung machen,
dass einige zu viel getrunken hatten
und desshalb nicht mehr recht auf
den Beinen waren. Ich hatte im Sinn
gehabt, mit ihnen noch die herrliche
Schlossruine zu besuchen, aber aus
dem gab es nichts mehr. Die Buben
prügelten einander, warfen sich über
das Strassenbord, einige kleinere
Mädchen konnten kaum mehr recht
stehen und lachten noch darüber. Ich
musste zwei an den Händen führen,
und die ganze kleine Schaar war
ausser Rand und Band, dass ich mir
nicht mehr zu helfen wusste. Ich hät
te mich in die Erde verkriechen mö
gen vor Scham, und nun musste ich
mit ihnen wieder durch das refor-
mirte Trübbach, durch das wir etwa
vor 2° Stunden so wohlgeordnet und
stolz gezogen waren. Gott sei Dank,
dass die halbe Stunde Weges die Klei
nen wieder ein bischen ernüchterte.
Aber in Trübbach angekommen, ver-
liess ich die Kinder so geschwind als
möglich und ging zu Fuss heim mit
dem festesten Vorsatz, keinen Spa
ziergang mehr mit den Kindern zu
machen. Ich hatte genug an diesem
Vergnügen.» 7
Die erste Predigt in Vaduz
Das Kapuzinerkloster Meis war die
erste Station des neugeweihten Prie
sters. In seinen Erinnerungen be
schreibt er drastisch, wieviel Mühe
ihm das Predigen bereitet habe, zu
mal die Predigten damals auswendig
gehalten wurden. Das erste Mal
musste Pater Keust in Vaduz predi
gen, wo zu dieser Zeit der spätere
Kanonikus Josef Anton Wolfinger als
Kurat wirkte. Die Schilderung dieser
Begebenheit zeigt deutlich die An
strengungen auf, welche die Patres
zu dieser Zeit auf sich nehmen
mussten, um in den weit verstreuten
Kirchen und Kapellen des Kloster
kreises Meis ihren Aufgaben nachzu
kommen. Offenbar war der neu
geweihte Priester mit seiner rhetori
schen Leistung gar nicht zufrieden.
Er vermerkt aber, dass ihn Pfarrer
Wolfinger getröstet habe, indem er
meinte, es werde mit der Zeit schon
besser. 8
«Als ich am Vorabend in Trübbach
über den Rhein fuhr und dann fast 2
Stunden weit demselben entlang auf
dem einsamen Damm, von Weiden
und Erlengebüschen umgeben, wan
dern musste, da schrie und gesti-
kulirte ich meine Predigt wieder, dass
ich den brausenden und tobenden
Rhein übertönte und überall die Vö
gel aufschreckte, dass sie auf- und
davonflogen. In Vaduz erwartete
mich eine grosse Enttäuschung, - ich
fand nur ein gewöhnliches Dorf,
oberhalb welchem ein Schloss sich
befindet und eine Kirche, die mehr
eine recht armselige Kapelle genannt
werden durfte.» 9 Trotzdem trat er am
anderen Morgen beim Gottesdienst
klopfenden Herzens auf die Kanzel.
«Wenn die guten Leute gewusst ha
ben würden, wie es mit mir stehe, sie
hätten ganz bestimmt Erbarmen ge
habt mit mir. Als ich einmal losgelas
sen hatte, haspelte sich freilich die
ganze eingetrüllte Materie ab bis
zum letzten Wörtlein. Ich wusste fast
nicht, wo mir der Kopf stund, der
aber kaum mehr in Betracht kom
men konnte, weil es von selbst lief,
wie ein sich abwickelnder Faden. Und
geschrien habe ich, dass mir selber
die Ohren weh thaten, von der armen
Brust gar nicht zu reden.» 10
Anmerkungen
1 Raphael Hogg: Geschichte des Kapuziner
klosters Meis. Meis 1935, S. 38.
2 Ebenda.
3 Ebenda, S. 56.
4 Ebenda, S. 65.
5 Paul Hugger: Der schöne Augenblick -
Schweizer Photographen des Alltags.
Zürich 1989, S. 47.
6 Zitiert nach Hugger, wie Anm. 5, S. 60.
7 Zitiert nach Hugger, wie Anm. 5, S. 78f.
8 Ebenda, S. 59.
9 Zitiert nach Hugger, wie Anm. 5, S. 59.
10 Ebenda.