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Kriegsfall, Grenzwachtkorps und Zoll
vertrag. 48 An der Sitzung vom 15. Ok
tober 1948 der beiden Verhand
lungsdelegationen wurde der liech
tensteinischen Seite klargemacht,
dass eine starke Festung auch in ih
rem Interesse liege. Der Vorschlag,
das Ellhorn auf längere Zeit für mili
tärische Zwecke zu verpachten, lehn
te die Schweiz aufgrund neutralitäts
rechtlicher Bedenken ab. 49 Ebenso
konnten die Liechtensteiner mit ih
rem Wunsch nach einer Zusicherung
der Evakuierung der Bevölkerung im
Kriegsfall in die Schweiz nicht durch
dringen.
Die Frage der Entschädigung der im
Krieg durch das Militär verursachten
Schäden, vornehmlich in Balzers, so
wie die Frage nach der Zukunft des
wichtigen Balzner Steinbruchs waren
ebenso Bestandteil der Verhandlun
gen. Wichtiger war jedoch die In
rechnungstellung und Begleichung
der liechtensteinischen Schulden in
der Schweiz aufgrund der schweize
rischen Aufwendungen zu Gunsten
der wirtschaftlichen Landesversor
gung des Fürstentums Liechtenstein
in den Kriegsjahren (Brotschuld). Die
geforderte Summe von etwa 2,6 Mil
lionen Franken erschien als zu hoch.
Die Schweiz gab hier, zumal eine ge
naue Summe nicht errechnet werden
konnte und verschiedene Punkte
strittig waren, nach und verzichtete
auf 1,8 Millionen Franken. 50 Die Ge
meinde Balzers oder einzelne Bürger
sollten für erlittene Schäden wäh
rend des Krieges eine globale Abfin
dung erhalten.
An der erwähnten Sitzung vom 15.
Oktober, gefolgt von weiteren Bespre
chungen am 9. und 10. November, ka
men die Delegationen schliesslich
überein, dass Liechtenstein ein Ge
biet von 45 Hektaren (zuerst war von
über 70 Hektaren die Rede) im Wert
von 80’000 Franken gegen eine Flä
che im Wert von 120’000 Franken ab
treten solle. Die liechtensteinische
Delegation verlangte, dass der Lenza-
wald davon ausgeschlossen bleibe
und zudem die Fläche der abzutre
tenden Ellwiesen bedeutend zu ver
mindern sei. Liechtenstein räumte der
Schweiz ausserdem «für die 250 Me
ter südwestlich St. Katharina Brun
nen und 90 Meter westlich des Lu-
ziensteigs gelegene Quelle ein unbe
schränktes Benützungs- und Zutritts
recht ein». 51
Wie der damalige Forstmeister Eu
gen Bühler berichtet, war das Ver
handlungsklima unterkühlt. 52 Von
Balzers waren Vorsteher Fidel Brun
hart und Kassier Peter Vogt Mitglie
der der liechtensteinischen Sieb-
nerdelegation. Regierungschef Frick
schien bedrückt und befürchtete,
nachdem die Kantone St. Gallen und
Graubünden ihr Desinteresse am
Weiterbestehen des Zollvertrages be
kundet hätten, die Aufhebung dieses
Vertrags Werkes.
Empörte Balzner Bevölkerung
In der Bevölkerung von Balzers wur
de die Verärgerung immer spürbarer.
Unmut und Verdruss hatten sich ja
schon früher aufgestaut. Die Ge
meinde besass einige hundert Hekt
aren Güter auf Bündner Kantons
gebiet, darunter viel Wald, die der
schweizerischen Gesetzgebung un
terworfen waren. Im Zweiten Welt
krieg (seit April 1941) mussten aus
den Gemeindewäldern Graubündens
bestimmte Kontingente an Brenn
holz an den Kanton geliefert werden.
Die Balzner versuchten erfolglos, von
dieser Belastung, die zusätzliche Ar
beit erforderte, Zeit raubte und den
Holzertrag aus den eigenen Wäldern
minderte, befreit zu werden. Vergeb
lich. Die Gemeinde hatte pro Jahr
zwischen 250 und 350 Ster Brenn
holz in die Schweiz abzugeben, wobei
die Lieferungen sortiert an fahrbarer
Strasse oder bahnverladen bereitzu
stellen waren. 53
Und nun das! Den Ellberg mit dem
Ellhorn sollte man abtreten! War
man nicht sonst schon genug gestraft
mit dem ungeliebten Nachbarn, dem
Schweizer Militär? Hatte man nicht
schon genug Boden abgeben müssen,
Beschädigungen, Lärm, Behinderun
gen und Übergriffe ertragen? Waren
nicht Schiessscharten und Kanonen
auf das Dorf gerichtet? Sollte das
Ellhorn wirklich verlorengehen? Es
entstanden hitzige und wochenlange
Diskussionen, und man begann, auch
in den Gasthäusern der benachbar
ten Schweiz, über die Behörden und
die Schweiz verbittert herzuziehen.
Der Gömer Wilhelm Frick schrieb am
10. November 1948 besorgt an den
Regierungschef, dass ihm das Pro
blem Ellhorn «Kummer und Sorgen»
bereite. 54 Die Gemeinde habe schon
zehn Hektaren an das Militär abge
treten und das zu so niedrigen Prei
sen, dass man an keinen Ersatz den
ken könne. Er machte den unge
wöhnlichen Vorschlag, dass es mora
lisch gerechtfertigt wäre, wenn «eini
ge der mit viel Waldbesitz gesegneten
Gemeinden» kleine Waldungen ab
treten würden, zumal auch sie vom
Wirtschaftsaufschwung dank des Zoll
vertrages profitierten. Zudem beste
he auch das Problem, dass wegen des
Schiessplatzes auf der Steig drei
Hektaren Wald nicht bewirtschaftet
werden könnten. Der Schiessplatz
werde ständig erweitert, deshalb sei
in den Ellhorn-Verhandlungen dar
auf zu dringen, ihn aufzuheben. 55
Interessant ist auch ein weiterer
Brief vom 15. November 1949. 56 Dem
Briefschreiber war klar, dass die
Mälsner gegen die Abtretung des
Ellhorns seien, auch wenn ein schö
ner Batzen Geld herausspringen wür
de, «aber was haben die späteren Ge
nerationen vom Geld, jede Spanne
Boden ist mehr wert als Geld». Sollte
es dennoch zur Abtretung kommen,
so sei die Bedingung zu stellen, dass
alle «Balzner Verurteilten und Ver
bannten mit dem Kauf fristlos entlas
sen werden». Immerhin sei die
Schweizer Armee die Käuferin, und
diese Armee habe sie verurteilt. Der
Zweite Weltkrieg, in welchem die
Schweiz mit wirklichen oder auch
nur angeblichen Spionen und Spit
zeln hart verfuhr, war ja noch nicht
weit weg.
Spannungsgeladene
Gemeindeversammlung
In der Gemeinde Balzers stand die
Entscheidung am 21. November 1948
an. Wie Emanuel Vogt in «Mier z
Balzers» berichtet, 57 war alles «ner
vös und aufgeregt. Niemand sass, die
Balzner standen alle, es war eine ge
fährliche, brodelnde Situation.» Der
Balzner Gymnasiallehrer Dr. Josef
Kriss habe in der Versammlung aus
gerufen, «nun werde auch der <Lore-
leifelsem ausgebohrt und zu einer Fe
stung gemacht. Das wurde zwar
dann vom Podium her verneint, aber
ein halbes Jahr später wurde doch im
besagten Felsen für den Festungs
ausbau gebohrt! Der damalige
Versammlungsleiter Regierungschef
Alexander Frick erzählte mir später