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Die Kinderzeichnung als Kulturdokument
Bruno Kaufmann
Denkt man ganz allgemein an Ge
schichte oder Kultur, so ist fast aus
schliesslich immer das gemeint, was
Erwachsene uns Zeitgenossen hinter
lassen haben oder uns zu vererben
im Begriffe sind. Selten sehen wir in
Museen kulturelle Zeugnisse von
Kindern und Jugendlichen. Solche
werden höchstens innerhalb der
Familie aufbewahrt, falls sie über
haupt geschätzt werden.
Wenn hier von kulturellen Zeugnis
sen die Rede ist, sind damit nicht
etwa kommerzielle Produkte oder
Gegenstände gemeint, die von Er
wachsenen für Kinder gemacht wer
den, sondern von Kindern selbst
Geschaffenes. Dazu gehören selbster
stellte Spielsachen, aufgeschriebene
Erlebnisse, selbsterfundene Ge
schichten, Fotos und ganz besonders
Zeichnungen, Collagen und plasti
sche Arbeiten.
Nicht nur Erwachsene sind Zeugen
der Geschichte, sondern auch Kinder
und Jugendliche. Auch sie sind ein
bedeutender Teil der Gesellschaft. Sie
leben in einer Kultur der Erwach
senen, doch grenzen sie sich - beson
ders im jugendlichen Alter - oft
davon ab und schaffen auf ihre Weise
ebenfalls Kultur. In der Jugendkultur
von heule kommt dies besonders
stark zum Ausdruck, etwa in der Art,
wie sie sich geben, wie sie sich klei
den, in der Musik, die sie hören, und
in meistens nicht gerade geliebten
Wandmalereien.
Wir Liechtensteiner haben zwar eine
Geschichte wie jedes Volk, sind aber
arm an Kultur. Unsere Vorfahren
haben uns in dieser Hinsicht sehr
wenig hinterlassen. Ihr karges und
mühseliges Leben war von dem
bestimmt, was sie am allernötigsten
brauchten - schlechte Voraussetzun
gen für Kultur. Erst der Wohlstand
hat es mit sich gebracht, dass wir uns
für Kunst und Kultur interessieren
oder sie gar aktiv betreiben. Viele Er
wachsene gehen heute neben dem
Beruf einer Freizeitbeschäftigung
nach. Bildnerisches Arbeiten ist z. B.
ein Hobby, das immer beliebter wird.
Durch solche Tätigkeiten, aber auch
durch die besseren Bildungsmöglich
keiten, ist ein grösseres Interesse für
Simon, 11 Jahre
unsere Vergangenheit festzustellen.
Das mag z. T. mit dem sehr schnellen
Wandel von einem bäuerlich gepräg
ten zu einem industriellen Staatswe
sen zu tun haben. Daher ist es von
einer nostalgischen Rückschau bis
zum Wunsch, das Vergangene wenig-