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Resignation
O wär ich doch in Rätien geboren,
Mir gäbe die Natur,
die Freuden, die sie mir einst zugeschworen,
Ich glänzte jetzt als Domherr auserkoren,
Und spielte herrlich die Figur.
Warum doch Chur hast du mir vorgelogen?
Und ich - ich traute dir! - Wie dumm! -
Nun Hoffnung von mir selbst noch grossgezogen,
Nun liegt vom Wirbel ränkevoller Wogen,
Dein Kahn zerlegt im Sand herum!
Mich lehrte längst Erfahrung und Geschichte,
Der Bündner doppeltes Gewicht.
Die fromme Miene und das Wort das schlichte.
Des Edlen nahm ich einst wie im Gerichte,
Den Golddurst nur, den kannt ich nicht.
Und diesen Durst, was wird ihn wieder stillen,
Ein traulich ernstes Machtgebot.
Des Kanzlers und des Vizekanzlers Willen,
Versteht sich prompt dazu, die Kasse anzufüllen,
dem Edlen um das Gnadenbrot.
Der Wortbruch wird umhüllt mit frommem Schleier,
Man sagt «so wills des Bistums Wohl»,
Was kümmert uns der Liechtensteiner Schreier,
Es lebe unser Bünden, das Bündnis Dreier,
Der Schlucker geht, soweit der Pol.
Prälaturen sind nur für Rätier gestiftet,
Für Liechtensteiner nicht.
Von dort her weht die Luft schon sonst vergiftet,
Aufklärung hat die Herzen tief zerklüftet,
Die Leute strafen - das ist Pflicht.
So sind des Schicksals Würfel denn gefallen,
Kanonikus kann weiterziehn.
Doch, das Verfahren selbst gefiel nicht allen,
Genug, Hochwürden liessen sich bestallen,
Wie nahm man’s auf in Wien?
Ein Fremdling, und ein Greis voll düsteren Blickes,
Irr ich vergessen nun umher
Erinnerung des tragischen Geschickes,
Der wahre Traum vom Fratzenbild des Glückes
Sie drücken auf der Seele schwer.
Das Gedicht wird Pfarrer Wolfinger zugeschrieben.
Wolfinger beklagte diese Umstände auch in Briefen.
Allerdings wurde er 1854 als erster Nichtbündner seit
Jahrhunderten Kanonikus und Domherr.