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Die Mittel zu dieser Pöbelaufklärung
waren u. sind die Legionen Schriften,
Flugblätter, periodische Blätter, Zei
tungen usw. Dann rückten die so ge
nannten Volksmänner nach, und
bezauberten die Winkel-, Schenkhaus
und Stuben-Gesellschaften, die überall
ohne Zahl bestehen, durch Deklama
tionen u. Schimpfen über die Regie
rungen usw. Die Horchenden so, dass
in Aargau 5000, in Thurgau 3000, in
Usteri K. Zürich 13000 Mann sich ver
sammelten, Petitionen an die Regie
rungen verfassten, u. deren Gewäh
rung mit Kolben, usw. erwirkten.
Diesen erhabenen Mustern machte
man es in allen Kantonen mehr oder
minder massiv nach, überall aber
energisch u. absolut. Sie sehen nun,
wer u. was gilt. In allen alten Kan
tonen sind nun Verfassungsräthe nie
dergesetzt, direkte vom Volke, d.h. vom
Pöbel gewählt. Auch für diese Wahlen
werden die Wählenden bearbeitet
durch Schriften, so wie schon durch
solche auch die Grundsätze der künft.
Verfassungen diktiert sind. Dabei habe
nur ich schon etliche u. zwanzig u.
nur für den K. St. Gallen gelesen. Für
letzteren Kanton sind 149 Verfas
sungsräthe schon in der 4ten Woche
beisammen in der St. Gallen, darunter
sind einige Reg. Rät he, Militairs,
Handwerker, Advokaten, Bauern, 1
kath. Geistlicher, Beamtete usw. Der
Sitzungsaal steht offen, einige 100
Rheinthaler Kerls machten diesen
Herren letzthin Visite, u. wollten sich
nur mit Mühe abspeisen lassen. Als
oberstes Prinzip ist angenommen:
«Die Souverenetät liegt in der Gesamt
heit des Volkes. Dieses verweigert oder
nimmt an die vorgeschlagene Verfas
sung u. alle Gesetze. Es gibt keinen
Vorrang der Person, Stände usw.»
Der Herr Bischof hat bisher schon
zwei Schreiben eingereicht, die man
aber sogleich ablehnend an eine
Commission wies. Ja Herr Vetter!
wenn das Ding so fort geht, dann steht
es übel um unsere Religion. Dass die
Schweiz schon lange das Asyl staats
verbrecherischer Carbonari war, zeigt
sich erst itzt klar. Indess da die
Sanction der Gesetze künftig vom
Volke ausgehen wnrd, so ist zu hoffen,
die Katholiken werden als solche
dastehen; aber denken Sie sich die
Lage, die Gefahren, da beide Partheien
beinahe gleich sind im Kanton. Man
geht auf Domen, u. zwischen Schlan
gen.
Um nun zum Resultat meiner Aufgabe
zu kommen: Die ganze Schweiz ist im
Aufstande; diese w?ard bombardiert
durch liberale Schriften, er ist aber in
etwas zu entschuldigen durch die
höchst mangelhafte, kranke, zweck
widrige Veifassung von 1814: ein gros
ser Teil des losgelassenen Volkes raset:
an seiner Spitz stehen liberale im brei
testen Sinne; die liberalsten Grund
sätze kommen oben an; u. ächt kath.
Partei ist die mindere, u. eingeschüch
tert u. kraftlos. Man arbeitet auf Ver
schmelzung beider herrschenden Con-
fessionen hin; katholische Grundsätze
sind verpönt; - das ganze ist ein Kind
der Juliustage in Paris.
Das ist meine Ansicht über das
unglückliche, hochgepriesene Treiben.
Ob Sie sich daraus klare Ideen schöp
fen können, weiss ich nicht. Die
Darstellung ist schwierig, weil der
Gegenstand ja selbst so trübe u. im
Chaos liegt; einst wird die Geschichte
selber lehren, wenn diese Aktionen u.
Reaktionen minder oszilliren oder gar
ruhen werden. Inzwischen bin ich zu
fernerer Erläuterung bereit: sollte Sie
die Sache interessieren: besser ge
schieht es aber mündlich.
So eben zeigen öffentliche Blätter, dass
unser Veifassiingsralh über die religiö
sen u. konfessionellen Angelegenhei
ten sehr getheilter, u. sogar entgegenge
setzter Ansichten sey; eine Neuner
kommission soll bis 9. dies Monats
über alle diese so wichtigen als schwie
rigen Punkte ihr Gutachten bearbei
ten, u. sie dann dem ganzen Verf.
Rathe vorlegen. Eine grosse Partie will
Aufhebung des Bisthums, Zertheilung
des über 1 Million reichen kathol.
Fonds, Einheit in den Erziehungs
behörden, und in dem Ehegerichte; in
der Schide usw. Allerliebst, dazu
gehört, dass die Collaturen allen
Gemeinden angetragen sind, wogegen
der Bischof vergeblich protestierte.
Was nun aus allem werden wnrd, ver
mag Niemand zu bestimmen; gross
sind die Erwartungen, gross die
Spannung, stark gereizt die Gemüther;
gewaltig der Abstand in Grundsätzen
u. Behauptungen, alles unter sich ent
zweit im Einzelnen, nur im Religiösen
sind bloss zwo Partheien -; u. dies hei
Geistlichen wie bei Weltlichen.
Ich habe Sie vielleicht sehr ermüdet;
also abgebrochen. Beruhigen Sie mich
recht bald, dass Sie diese Zeilen erhal
ten.
Ich empfehle mich
Ihnen
ergebenster V. u. F. J. A. W.
3.2.31