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Überraschend ist der Fund einer
Dicken Flussmuschel (unio crassus
ssp.). Bisher gingen die Zoologen
davon aus, dass diese Spezies erst in
neuerer Zeit durch das Aussetzen
bestimmter Fischarten in unseren
Gewässern heimisch wurde. Durch
ihre eindeutige Fundlage in den
römerzeitlichen Schichten zeigt sich,
dass die Dicke Flussmuschel schon
viel früher als bisher angenommen
im Gebiet des heutigen Liechten
stein vorgekommen sein muss. Sie
gilt hier bereits wieder als ausgestor
ben.
Das Grab
Die Gräberfelder lagen in römischer
Zeit in der Regel entlang der Ausfall
strassen der Siedlungen. Ungewöhn
lich ist daher die Entdeckung eines
Grabes inmitten des römerzeitlichen
Gebäudes auf dem Areal Amtshaus.
Die anthropologischen Untersuchun
gen haben ergeben, dass es sich bei
der Bestatteten um eine 35- bis 45-
jährige Frau mit zierlichem Wuchs
handelte. Sie dürfte zu Lebzeiten ca.
1,50 m gross gewesen sein. Beach
tenswert ist eine Zahnfehlstellung im
Unterkiefer und die Verknöcherung
eines Gehirntumors oder Blutgerinn
sels im Kopf. Aussagen über die To
desursache können nicht gemacht
werden. Die Tote wurde in gestreck
ter Rückenlage in Süd(Kopf)-Nord
(Füsse)-Orientierung bestattet. Mög
licherweise war das Grab mit grösse
ren Dachziegelstücken abgedeckt.
Ein Sarg oder ein Totenbrett wurde
nicht festgestellt. Da die verstürzten
Mauerreste direkt über dem Grab
lagen, kann davon ausgegangen wer
den, dass die Tote kurze Zeit nach der
Aufgabe des Gebäudes in einem sei
ner Innenräume bestattet worden ist.
Als Beigaben fanden sich der Becken
knochen eines jungen Pferdes oder
Maultiers auf der Brust der Toten
und eine eiserne Lanzenspitze neben
deren linker Schulter. Von einem
knöchernen Armring konnte nur
noch ein kleines Fragment beim
Flandgelenk festgestellt werden.
Beinerne Armringe waren seit dem
zweiten Drittel des 4. Jahrhunderts
als Schmuckstücke in Gebrauch.
Daraus kann geschlossen werden,
dass unsere Römerin gegen Ende des
4. Jahrhunderts hier zur letzten Ruhe
gebettet worden ist. Sie ist somit
ungefähr zur gleichen Zeit bestattet
worden wie jene Römerin, deren
Grab 1932 beim Bau des Kanals in
rund 100 m Entfernung zum Amts
haus entdeckt wurde. Als Beigaben
fanden sich dort eine Zwiebelknopf
fibel aus Bronze, eine eiserne Gürtel
schnalle und ein Messer.
Die Eisenzeit
Einige Einzelfunde belegen die Prä
senz des Menschen im Gebiet des
heutigen Ortsteils Höhe bereits in
der jüngeren Eisenzeit. Die Archäo
logen benennen aufgrund ihrer lo
kalen Kulturausprägung die Be
völkerung, die ab dem 6. Jahrhun
dert v. Chr. bis um Christi Geburt die
Gegend vom Flinterrhein bis an den
Bodensee besiedelte, als Alpenrhein
talgruppe. Auf dem Runden Büchel
in Balzers ist das bisher einzige in
Liechtenstein bekannte Brandgrä
berfeld dieser Kultur gefunden wor
den. Einige Funde aus dem Areal
Amtshaus - Keramikfragmente und
das Bruchstück eines gelben Glas
armringes - können dieser Kultur
zugeschrieben werden. Sie entstam
men dem 2./1. Jahrhundert v. Chr.
Die Neuzeit
Die jüngsten Funde und Befunde
auf dem Areal Amtshaus gehören
der Neuzeit an. Ihnen können die
Nordwest-Ecke eines gemauerten
Gebäudes mit daran anschliessen
der Hofpflästerung und die Funda
mente eines Stalles zugeordnet wer
den. Mitte des 19. Jahrhunderts ist
das Flaus im Zuge der Errichtung
des heutigen Amtshauses abgebro
chen worden. Fragmente von be
malter Bauernkeramik, Eisenob
jekte und Kachelfunde, die in den
obersten Planierungsschichten zum
Vorschein gekommen sind, datieren
ins 18./19. Jahrhundert. Bei den
Stallfundamenten handelte es sich
nach Angaben von Alt-Gemeindevor
steher Emanuel Vogt möglicherweise
um die letzten Überreste des
Wirtschaftsgebäudes von Haus Nr. 42
(Georg Frick).
Schlussbemerkung
Durch die Resultate aus der Notgra
bung im Areal Amtshaus kann das
Wissen um die römische Besiedlung
des heutigen Balzers um weitere
Puzzleteile ergänzt werden. Die um
fassenden Analysen der botanischen
und zoologischen Reste ermöglichen
neue, wichtige Erkenntnisse zur
Lebensweise der Römer in unserem
Gebiet. Die grossen Fundmengen an
Münzen und Terra Sigillata geben
Einblick in die weitreichenden Han
delsverbindungen der römischen
Siedlung. Fragen nach den Lebens
umständen der damaligen Bewohner,
nach dem Namen der Siedlung in der
Antike, nach der Lokalisierung der
Gräber, nach der Funktion des erst
zum Teil dokumentierten Gebäudes
sowie nach Beginn und Ende dieser
Siedlung sind noch offen. Standort
und Aussehen der Gebäude der ein
heimischen Bevölkerung in der Spät
antike sind ebenso unbekannt wie die
Siedlung der eingewanderten Ala
mannen.
Die Archäologen versuchen durch
ihre Arbeit auf dem Areal Amtshaus
nicht nur einen Einblick in die mate
rielle Hinterlassenschaft der frühe
ren Bewohner von Balzers zu geben.
Vielmehr stellen sie den Menschen in
den Mittelpunkt ihrer Betrachtun
gen. Unmittelbar lässt dieser sich
durch seine Knochen und durch die
Nennung seines Namens, z. B. auf
den Gefässen, fassen. Jede Grabung
öffnet neue Einblicke in die Ver
gangenheit und ermöglicht das Er
kennen und Verstehen politischer,
wirtschaftlicher und sozialer Vorgän
ge in früheren Zeiten und deren
Auswirkungen auf die Gegenwart.
Einige der oben beschriebenen Fun
de aus der Grabung im Areal Amts
haus sind als Kopien in den Vitrinen
des Kundenraumes der Geschäfts
stelle der Liechtensteinischen Lan
desbank AG in Balzers zu besichti
gen.