Volltext: Balzner Neujahrsblätter (1997) (1997)

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Hexenland Liechtenstein 
Zur Zahl der Hinrichtungen bei den Verfolgungen zwischen 1648 und 1680 
Manfred Tschaikner 
Die Grafschaft Vaduz und die Herr 
schaft Schellenberg, die Vorläufer 
territorien des heutigen Fürstentums 
Liechtenstein, zählen im internatio 
nalen Vergleich zu den Gebieten, die 
von den Hexenverfolgungen beson 
ders stark betroffen waren. Vaduz hat 
te deshalb schon im 17. Jahrhundert 
weitum einen schlechten Ruf als 
«Hexenland» 1 . In einerneueren Über 
sicht über die europäischen Verfol 
gungen gelten die liechtensteinischen 
Prozesse zwischen 1648 und 1680 als 
die grössten Hexenjagden dieser Zeit 
im deutschsprachigen Raum. An 
zweiter Stelle steht der bekannte Zau 
berer-Jackl-Prozess im Hochstift 
Salzburg, wo zwischen 1677 und 1681 
mit etwa 140 Personen nur ungefähr 
halb so viele Opfer hingerichtet wur 
den, wie in Liechtenstein ums Leben 
gekommen sein sollen. 2 
Vaduz und Schellenberg, die von einer 
Seitenlinie der Grafen von Hohenems 
regiert wurden, wiesen im Bereich des 
Hexenwesens zwei herausragende Be 
sonderheiten auf. Dazu zählte einer 
seits die Tatsache, dass alle Urteile der 
Prozesse in den Jahren 1679/80 durch 
kaiserlichen Beschluss für ungültig 
erklärt wurden, was letztlich den An- 
stoss für die sonst selten erfolgte Ab 
setzung eines reichsfreien Landesher 
ren und den Übergang der Territorien 
an das Haus Liechtenstein bildete. 3 
Zum zweiten fällt die aussergewöhn- 
lich hohe Intensität der Verfolgungen 
auf. In Liechtenstein sollen mit 300 
verbrannten Personen zehn Prozent 
der Einwohnerschaft hingerichtet wor 
den sein. 4 
Über das Ende der Hexenprozesse 
und das damit verbundene Salzburger 
Rechtsgutachten von 1682 sind wir 
durch die Arbeiten Otto Segers aus 
führlich unterrichtet. 5 Von ihm stam 
men auch die Angaben über die Zahl 
der Todesopfer bei den liechtensteini 
schen Hexenprozessen zwischen 1648 
und 1680, die von der Landeskunde 6 
und der Hexenforschung 7 allgemein 
übernommen wurden. Da der Cha 
rakter der Verfolgungen nicht unwe 
sentlich mit ihrem quantitativen Aus- 
mass zusammenhängt, sollen diesem 
schlecht dokumentierten Aspekt 8 im 
folgenden einige kritische Überlegun 
gen gelten. 
Aus den erhaltenen Unterlagen geht 
hervor, dass in den Jahren 1679 und 
1680 44 der 122 angeklagten Personen 
hingerichtet wurden. Die Anschuldi 
gungen gegenüber 85 Delinquenten 
enthalten Hinweise auf deren Ver 
wandtschaft mit Personen, die in frü 
heren Prozessen exekutiert worden 
waren. Dadurch sind 90 weitere To 
desopfer dokumentiert. 9 Insgesamt 
lassen sich also 134 Hinrichtungen 
bei den liechtensteinischen Hexenver 
folgungen zwischen 1648 und 1680 
archivalisch nachweisen. 
Was führte Otto Seger dazu, diese 
Zahl auf etwa 300 Personen zu erhö 
hen? Seine Auffassung stützte sich 
zunächst auf eine Bemerkung in ei 
nem Brief derjenigen Personen, die 
durch eine Eingabe bei der Inns 
brucker Regierung den Stein gegen 
die unrechtmässigen Verfahren ins 
Rollen gebracht hatten. Sie schrieben 
an den Fürstabt von Kempten, den 
kaiserlichen Kommissar, unter ande 
rem, dass «die ungerechten Prozesse, 
die schon über dreissig Jahre währen, 
gegen dreihundert Personen zum Op 
fer gehabt hätten» 10 . Unter dem Be 
griff «Opfer» sind jedoch keineswegs 
nur «Todesopfer» zu verstehen. Als 
Opfer haben nicht nur die Hingerich 
teten, sondern auch jene Personen zu 
gelten, welche die Prozesse mit unter 
schiedlichen, aber zumeist schweren 
Folgen überlebten. In vielen Fällen 
war die Hinrichtung nicht die härteste 
Auswirkung der Hexenprozesse. Zu 
deren Opfern zählten nicht zuletzt die 
Familienmitglieder und Erben, die 
um Hab und Gut gebracht wurden. 
Gerade den Schreibern des zitierten 
Briefes war daran gelegen, den noch 
lebenden Opfern der Hexenprozesse 
zu helfen. Deren Anteil belief sich 
1680 auf beinahe zwei Drittel der An 
geklagten. 
Zur Bestärkung seiner Auffassung be 
züglich der Anzahl der Todesopfer 
führte Seger weiters eine Stelle aus 
einem Kommissionsbericht an. Sie 
lautet: «Es beklagen sich die Nachge 
lassenen der Hingerichteten, so über 
300 Personen, wegen zugefügten 
Schimpfes und Schadens über alle 
Massen.» 11 Für Seger bildeten diese 
Darlegungen eine amtliche Bestäti 
gung seiner Zahlenangaben. Sie kön 
nen jedoch mit mindestens ebensoviel 
Berechtigung dahingehend verstan 
den werden, dass die Gruppe der 
Nachgelassenen über 300 Personen 
umfasste. 
Mit den von Otto Seger angeführten 
Quellenstellen allein lässt sich die 
hohe Zahl an Hingerichteten also 
nicht stichhaltig belegen. Wie die 
Brief- bzw. Berichtauszüge richtig zu 
interpretieren sind, hängt wesentlich 
von der Einschätzung der archiva 
lisch überlieferten Anzahl der Todes 
opfer ab. 
Dabei gilt es zu entscheiden, welcher 
Stellenwert den Erwähnungen von 
«Hexen-Verwandtschaften» in den 
gerichtlichen Anschuldigungen zu 
kam. Bildeten sie nur ein mitunter zu 
vernachlässigendes Detail am Rande, 
oder spielten familiäre Verbindungen 
mit rechtmässig überführten Hexen 
eine wichtige Rolle? Wir wissen, dass 
die Verwandtschaft mit vermeintli 
chen Hexenpersonen nicht nur bei 
den volkstümlichen Bezichtigungen 
von grosser Bedeutung war. 12 Bei den 
liechtensteinischen Verfolgungen von 
1679/80 soll bereits der Hinweis dar 
auf eine Art von Vorverurteilung dar 
gestellt haben, der nicht mehr zu 
entrinnen war. 13 Man muss deshalb 
davon ausgehen, dass die in den ver-
	        

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