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Für meine Mutter war ein Gastbetrieb
nichts ganz Ungewohntes, hatte doch
ihr Vater Dr. Rudolf Schädler 6) schon
seit Beginn des Jahrhunderts das re
nommierte Kurhaus Gaflei geleitet
und auch seine Töchter zur Mitarbeit
in dem Familienbetrieb herangezo
gen. So konnte sie von Anfang an die
fachkundige Führung des Gastbe
triebes auf Gutenberg übernehmen.
Sie war zu diesem Zeitpunkt gerade
37 Jahre alt.
Am 6. Juni 1920 war es soweit: Die
Schlosswirtschaft wurde mit Sang
und Klang eröffnet. «Die gewiss zahl
reichen Lokale waren überfüllt, und
ebenso hätte der Schlosshof keine
Gäste mehr aufnehmen können. Ganz
Balzers und eine Masse von Spazier
gängern von der benachbarten Schweiz
und aus allen Gemeinden des Landes,
zusammen über 2000 Personen. Das
war ein Volksfest.» 7) So ein Zeitungs
bericht. Auch die Balzner Musik, der
Kirchenchor, der Männerchor und
der Sängerbund trugen zur Feststim
mung das Ihre bei.
Bier war zu jener Zeit noch nicht das
Hauptgetränk, und es wurde mehr
dunkles als helles getrunken. Dafür
war der Konsum von hiesigem Weiss
wein um so grösser. Eine Flasche Bier
kostete 60 Rappen, ein halber Liter
Weisswein aus dem Meierhofwein
berg 90 Rappen und ein halber Liter
Vaduzer Ablass oder Kretzer Fr. 1.60.
Der Betrieb auf Gutenberg hatte sich
rasch gut angelassen. Am 1. August
1920 gab die Vaduzer Musik ein Kon
zert, und am 12. September feierte
man die Fahnenweihe des Kirchen
chors Balzers. 8) Eine besondere Aus
zeichnung erfuhr dieses Fest durch
die Anwesenheit von Fürst Johann II.
Ich erinnere mich noch gut daran, da
ich dem Fürsten ein Blumensträuss-
chen überreichen durfte. Der Fürst
weilte in diesen Septembertagen im
Land, wobei in der Frage einer neuen
Verfassung grundsätzliche Ziele ab
gesteckt wurden («Schlossabmachun
gen»). Die Fahnenweihe war ein ge
lungenes Fest, an dem bei schönstem
Wetter etwa 2000 Gäste teilnahmen,
die von 20 aufgebotenen Kellnerinnen
bedient wurden. Der Herbst 1920
klang aus mit einem Orchesterkon
zert am Susersonntag. Das Jahr 1921
brachte als wichtigste Neuerung das
elektrische Licht. Bis dahin kannte
man nur Kerzen, Petrollampen und
Carbidlampen. Der Anschluss des
Balzner elektrischen Netzes an das
Landesnetz erfolgte am 27. April
1921, 9) und am 21. Mai kam Mäls dazu.
Für diesen Anlass hatte man sich et
was Besonderes ausgedacht. Durch
das Turmdach auf Gutenberg hatte
man senkrecht einen Balken geführt,
der dann das Dach um etwa 3 Meter
überragte. An diesem Balken waren
zuoberst 3 Lampen von zusammen
mehreren tausend Watt Stärke ange
bracht, die weit ins Land hinaus leuch
teten. Auf dem Riet trafen sich am
Abend die Balzner und Mälsner und
bestaunten das Lichtwunder. Und sie
konnten es kaum fassen, dass die vom
Turm ausgestrahlte Helligkeit es mög
lich machte, unten auf der Rietstrasse
noch eine Zeitung lesen zu können.
Die ganze Installation hatten die Mon
teure Fehr und Brendle besorgt, wobei
das Material mit einem Esel den
Schlossweg hinauf transportiert wur
de. Es ist verwunderlich, dass das Er
eignis in keiner einzigen Zeitungsno
tiz festgehalten wurde.
In den Jahren 1921 bis 1923 liess mein
Vater die Fahrstrasse von Mäls zur
Burg ausbauen. Zwei Kurven mussten
ausgesprengt werden, wobei der alte
Mineur Tonetti tüchtige Arbeit als
Sprengmeister leistete. Ich schaute
ihm oft bewundernd zu, wenn er die
Zündkapsel mit den Zähnen über der
Zündschnur zusammenbiss. Nach
Fertigstellung der Strasse konnte man
mit allen Fuhrwerken und sogar mit
dem Auto bis in den Schlosshof fah
ren. Der «Schlosskutscher», «sTta-
buaba Andreies», hatte aber immer
noch Gelegenheit, auf der grob ge
schotterten Strasse die Skala seiner
Fuhrmannsausdrücke loszuwerden.
So lautete einer davon: «Herkules,
Herkulanti, Kulanti Kulanti ...». Wir
tauften die Kurve, bei der dieser
«Fluch» fast immer ertönte, das «Her-
kules-Ränkle». Ich habe in der Balzner
Flurnamenkarte gesehen, dass der
«Herkulesrank» dort sogar offizielle
Aufnahme gefunden hat.
In dieser Zeit hatte «dr Andreies» eini
ge Fässer Wein und ein paar Ballon
flaschen Weintrester vom Roten Haus
in Vaduz nach Gutenberg geführt.
Beim Abladen halfen die gerade an der
Strasse beschäftigten Arbeiter. Dabei
wurde ein Ballon mit etwa 30 Litern
Schnaps etwas unsanft auf das Kopf
pflaster aufgesetzt und zerbarst. Mi-
neur Tonetti erfasste das Geschehene
sofort, warf sich auf den Bauch und
versuchte, von dem kostbaren Geist
soviel aufzuschlürfen, als noch mög
lich war. Nachher vergoss er noch Trä
nen über das unfassbare Unglück.
Im Laufe der ersten Jahre bildete sich
in der Schlosswirtschaft eine feste
Stammkundschaft von Balznern her
aus. Sie kamen jeden Sonntagnach
mittag und füllten die grosse Stube
mit ihren 6 Tischen. Es wurde gejasst,
erzählt und auch gesungen. Die eifrig
sten Jasser waren der Schuhmacher
Jörgle und der alte Schuhmacher
Haslervon derlradug, und wenn dann
noch der Schuhmacher Rechsteiner
von Vaduz dazukam, so jassten sie
noch lange über die Zeit hinaus.
Anders, wenn die beiden Lehrer Frick
und Büchel kamen. Mit jedem Viertele
wurden sie gesprächiger, und einer
wollte den anderen übertrumpfen in
seinen musikalischen Fähigkeiten,
und einmal endete der edle Wettstreit
gar darin, dass sich der eine mit Beet
hoven und der andere mit Richard
Wagner verglich. Zu ihrer Ehre muss
gesagt werden, dass sie beide sehr
musikalisch waren. Am späten Sonn
tagnachmittag, wenn «gefuttert» wer
den musste, leerten sich dann die
Gaststuben rasch.
In den frühen zwanziger Jahren wur
de im Gartentrakt auch eine Kegel
bahn eingerichtet, die zwar eifrig be
nützt wurde, aber wenig einbrachte.
An etlichen Sonntagen im Sommer
gab es Konzerte im Schlosshof. So
wechselten sich im Laufe der Zeit die
Musikvereine von Balzers, Azmoos,
Triesen, Vaduz, Maienfeld, Schaan,
Flums, die Stadtmusik Chur oder
auch Gesangvereine gegenseitig ab.
Im September 1922 gab der aus
Triesen stammende Komponist Max
Kindle auf Gutenberg ein Klavierkon
zert, wobei er einige Szenen seiner
Faust- und Dante-Kompositionen zu
Gehör brachte. In der Presse wurden
seine Kompositionen kontrovers be
urteilt. 10)
Abb. Seite 17:
Blick auf die Ruine Gutenberg von
Südwesten, links das Schulhaus
Unterm Schloss, 1901