Volltext: Balzner Neujahrsblätter (1996) (1996)

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Für meine Mutter war ein Gastbetrieb 
nichts ganz Ungewohntes, hatte doch 
ihr Vater Dr. Rudolf Schädler 6) schon 
seit Beginn des Jahrhunderts das re 
nommierte Kurhaus Gaflei geleitet 
und auch seine Töchter zur Mitarbeit 
in dem Familienbetrieb herangezo 
gen. So konnte sie von Anfang an die 
fachkundige Führung des Gastbe 
triebes auf Gutenberg übernehmen. 
Sie war zu diesem Zeitpunkt gerade 
37 Jahre alt. 
Am 6. Juni 1920 war es soweit: Die 
Schlosswirtschaft wurde mit Sang 
und Klang eröffnet. «Die gewiss zahl 
reichen Lokale waren überfüllt, und 
ebenso hätte der Schlosshof keine 
Gäste mehr aufnehmen können. Ganz 
Balzers und eine Masse von Spazier 
gängern von der benachbarten Schweiz 
und aus allen Gemeinden des Landes, 
zusammen über 2000 Personen. Das 
war ein Volksfest.» 7) So ein Zeitungs 
bericht. Auch die Balzner Musik, der 
Kirchenchor, der Männerchor und 
der Sängerbund trugen zur Feststim 
mung das Ihre bei. 
Bier war zu jener Zeit noch nicht das 
Hauptgetränk, und es wurde mehr 
dunkles als helles getrunken. Dafür 
war der Konsum von hiesigem Weiss 
wein um so grösser. Eine Flasche Bier 
kostete 60 Rappen, ein halber Liter 
Weisswein aus dem Meierhofwein 
berg 90 Rappen und ein halber Liter 
Vaduzer Ablass oder Kretzer Fr. 1.60. 
Der Betrieb auf Gutenberg hatte sich 
rasch gut angelassen. Am 1. August 
1920 gab die Vaduzer Musik ein Kon 
zert, und am 12. September feierte 
man die Fahnenweihe des Kirchen 
chors Balzers. 8) Eine besondere Aus 
zeichnung erfuhr dieses Fest durch 
die Anwesenheit von Fürst Johann II. 
Ich erinnere mich noch gut daran, da 
ich dem Fürsten ein Blumensträuss- 
chen überreichen durfte. Der Fürst 
weilte in diesen Septembertagen im 
Land, wobei in der Frage einer neuen 
Verfassung grundsätzliche Ziele ab 
gesteckt wurden («Schlossabmachun 
gen»). Die Fahnenweihe war ein ge 
lungenes Fest, an dem bei schönstem 
Wetter etwa 2000 Gäste teilnahmen, 
die von 20 aufgebotenen Kellnerinnen 
bedient wurden. Der Herbst 1920 
klang aus mit einem Orchesterkon 
zert am Susersonntag. Das Jahr 1921 
brachte als wichtigste Neuerung das 
elektrische Licht. Bis dahin kannte 
man nur Kerzen, Petrollampen und 
Carbidlampen. Der Anschluss des 
Balzner elektrischen Netzes an das 
Landesnetz erfolgte am 27. April 
1921, 9) und am 21. Mai kam Mäls dazu. 
Für diesen Anlass hatte man sich et 
was Besonderes ausgedacht. Durch 
das Turmdach auf Gutenberg hatte 
man senkrecht einen Balken geführt, 
der dann das Dach um etwa 3 Meter 
überragte. An diesem Balken waren 
zuoberst 3 Lampen von zusammen 
mehreren tausend Watt Stärke ange 
bracht, die weit ins Land hinaus leuch 
teten. Auf dem Riet trafen sich am 
Abend die Balzner und Mälsner und 
bestaunten das Lichtwunder. Und sie 
konnten es kaum fassen, dass die vom 
Turm ausgestrahlte Helligkeit es mög 
lich machte, unten auf der Rietstrasse 
noch eine Zeitung lesen zu können. 
Die ganze Installation hatten die Mon 
teure Fehr und Brendle besorgt, wobei 
das Material mit einem Esel den 
Schlossweg hinauf transportiert wur 
de. Es ist verwunderlich, dass das Er 
eignis in keiner einzigen Zeitungsno 
tiz festgehalten wurde. 
In den Jahren 1921 bis 1923 liess mein 
Vater die Fahrstrasse von Mäls zur 
Burg ausbauen. Zwei Kurven mussten 
ausgesprengt werden, wobei der alte 
Mineur Tonetti tüchtige Arbeit als 
Sprengmeister leistete. Ich schaute 
ihm oft bewundernd zu, wenn er die 
Zündkapsel mit den Zähnen über der 
Zündschnur zusammenbiss. Nach 
Fertigstellung der Strasse konnte man 
mit allen Fuhrwerken und sogar mit 
dem Auto bis in den Schlosshof fah 
ren. Der «Schlosskutscher», «sTta- 
buaba Andreies», hatte aber immer 
noch Gelegenheit, auf der grob ge 
schotterten Strasse die Skala seiner 
Fuhrmannsausdrücke loszuwerden. 
So lautete einer davon: «Herkules, 
Herkulanti, Kulanti Kulanti ...». Wir 
tauften die Kurve, bei der dieser 
«Fluch» fast immer ertönte, das «Her- 
kules-Ränkle». Ich habe in der Balzner 
Flurnamenkarte gesehen, dass der 
«Herkulesrank» dort sogar offizielle 
Aufnahme gefunden hat. 
In dieser Zeit hatte «dr Andreies» eini 
ge Fässer Wein und ein paar Ballon 
flaschen Weintrester vom Roten Haus 
in Vaduz nach Gutenberg geführt. 
Beim Abladen halfen die gerade an der 
Strasse beschäftigten Arbeiter. Dabei 
wurde ein Ballon mit etwa 30 Litern 
Schnaps etwas unsanft auf das Kopf 
pflaster aufgesetzt und zerbarst. Mi- 
neur Tonetti erfasste das Geschehene 
sofort, warf sich auf den Bauch und 
versuchte, von dem kostbaren Geist 
soviel aufzuschlürfen, als noch mög 
lich war. Nachher vergoss er noch Trä 
nen über das unfassbare Unglück. 
Im Laufe der ersten Jahre bildete sich 
in der Schlosswirtschaft eine feste 
Stammkundschaft von Balznern her 
aus. Sie kamen jeden Sonntagnach 
mittag und füllten die grosse Stube 
mit ihren 6 Tischen. Es wurde gejasst, 
erzählt und auch gesungen. Die eifrig 
sten Jasser waren der Schuhmacher 
Jörgle und der alte Schuhmacher 
Haslervon derlradug, und wenn dann 
noch der Schuhmacher Rechsteiner 
von Vaduz dazukam, so jassten sie 
noch lange über die Zeit hinaus. 
Anders, wenn die beiden Lehrer Frick 
und Büchel kamen. Mit jedem Viertele 
wurden sie gesprächiger, und einer 
wollte den anderen übertrumpfen in 
seinen musikalischen Fähigkeiten, 
und einmal endete der edle Wettstreit 
gar darin, dass sich der eine mit Beet 
hoven und der andere mit Richard 
Wagner verglich. Zu ihrer Ehre muss 
gesagt werden, dass sie beide sehr 
musikalisch waren. Am späten Sonn 
tagnachmittag, wenn «gefuttert» wer 
den musste, leerten sich dann die 
Gaststuben rasch. 
In den frühen zwanziger Jahren wur 
de im Gartentrakt auch eine Kegel 
bahn eingerichtet, die zwar eifrig be 
nützt wurde, aber wenig einbrachte. 
An etlichen Sonntagen im Sommer 
gab es Konzerte im Schlosshof. So 
wechselten sich im Laufe der Zeit die 
Musikvereine von Balzers, Azmoos, 
Triesen, Vaduz, Maienfeld, Schaan, 
Flums, die Stadtmusik Chur oder 
auch Gesangvereine gegenseitig ab. 
Im September 1922 gab der aus 
Triesen stammende Komponist Max 
Kindle auf Gutenberg ein Klavierkon 
zert, wobei er einige Szenen seiner 
Faust- und Dante-Kompositionen zu 
Gehör brachte. In der Presse wurden 
seine Kompositionen kontrovers be 
urteilt. 10) 
Abb. Seite 17: 
Blick auf die Ruine Gutenberg von 
Südwesten, links das Schulhaus 
Unterm Schloss, 1901
	        

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