nun die Behörden wählen, die von der
Gemeindeversammlung kontrolliert
wurden. Diese entschied Sachfragen
in Abstimmungen. Die Gemeinden
verwalteten ihr Vermögen selbst. Die
alle zwei Jahre neu gewählten Ge
meindebehörden bestanden aus dem
Richter (Vorsteher) und den Ge
schworenen (Gemeinderäte). Sie
waren für bestimmte Aufgabenberei
che zuständig, etwa für die Aufsicht
über Wald, Feld, Zäune, Feuer,
Strassen und Wuhrbauten. Der
Säckelmeister amtete als Kassier; er
verwaltete die Kasse und zog die Steu
ern ein. Erst seit 1941 muss der Kas
sier nicht mehr Gemeinderat sein; er
wurde zum Gemeindebediensteten
umfunktioniert. Grundlage der heuti
gen modernen Gemeinde ist das
Gemeindegesetz von 1959.
Stationen des Wandels
Liest man Beschreibungen der Ge
meinde Balzers aus dem letzten Jahr
hundert, etwa aus der Feder von
Landvögten oder durchreisenden
Fremden, so gewinnt man den Ein
druck eines kleinen, etwas armseli
gen, von Unbill aller Art geplagten
Ortes, dessen Bevölkerung eine be
dürfnislose und bescheidene Existenz
fristete. Das Einkommen stammte
aus dem Fuhrwerk und den Vor
spanndiensten über die St. Luzien-
steig nach Maienfeld, aus etwas Vieh
zucht, Weinbau und Landwirtschaft.
Die landwirtschaftlichen Arbeiten
wurden fast ganz von den Frauen be
sorgt.
Die beiden Ortsteile Mäls und Balzers
waren geographisch durch ein gros
ses sumpfiges Riet getrennt. Diese ört
liche Trennung ist, wie zeitgenössi
sche Bilder und Fotos zeigen, bis in
die zweite Hälfte unseres Jahrhun
derts hinein erhalten geblieben und
noch heute sichtbar. Die beiden Orte
waren in eigenen, zum Teil noch exi
stierenden Genossenschaften organi
siert. Zeitweise wurde auch die Schu
le gesondert geführt. Die mündliche
Überlieferung will sogar wissen, dass
auch mentalitätsmässige Unterschie
de zwischen Mälsnern und Balznern
bestanden hätten. Die Einwohner
schaft von Mäls habe das südlich-ro
manische Temperament vertreten,
während die Bevölkerung von Balzers
durch nördlich -alemannische Eigen
schaften charakterisiert gewesen sei.
Wenn dies stimmt, könnte man speku
lieren, dass sich die in spätrömisch
frühmittelalterlicher Zeit einwan
dernden Alemannen in Balzers ange
siedelt hätten und die damals einhei
mische romanische Bevölkerung in
Mäls ansässig gewesen wäre oder sich
dorthin zurückgezogen hätte. Wie
sich das auch immer verhalten haben
mag, heute sind die Unterschiede ni
velliert und verschwunden, auch dies
eine Folge des Wandels. Viele Balzner/
innen wohnen heute in Mäls, viele
Mälsner/innen in Balzers. Ein bewusst
gemachter Schritt zum Zusammen
wachsen der Dorfteile Mäls und
Balzers war der Entscheid zu Anfang
unseres Jahrhunderts, die Gemeinde
gebäude mit Zentrumsfunktionen
zwischen den beiden Ortsteilen zu er
richten.
Der Eindruck, den die alten Berichte
über unsere Gemeinde vermitteln, be
stätigt sich auch in den ersten Jahr
zehnten unseres Jahrhunderts, sei es
durch schriftliche Zeugnisse oder
durch die mündlichen Erzählungen
der ältesten Generation. In einer Bro
schüre, die 1992 anlässlich einer Aus
stellung alter Gegenstände erschienen
ist, heisst es, dass Balzers vor 70 Jah
ren «kaum ein Fahrrad, kein Auto,
keinen Traktor, kein Radio, kein Fern
sehen, kein Bad, keine asphaltierte
und beleuchtete Strasse hatte, die
Petrollampe noch gängig war, die
elektrische Kraft in den Anfängen
steckte, jedes Kleidungsstück mehr
mals geflickt wurde, nur Stube und
Küche geheizt waren».
1966 wurde im Jahresbericht der Ge
meinde festgehalten, dass wir «in ei
ner Dorfgemeinschaft leben, in der
das Gefühl der Zusammengehörig
keit, das Wissen um eine Gemein
schaft vorhanden ist. Es ist dies in der
heutigen Zeit leider nicht mehr so
selbstverständlich, und es ist notwen
dig, dass wir diese Werte wieder ver
mehrt pflegen. Anderseits ist die Ge
meinde nicht für alles da, sie soll nur
dort einspringen müssen, wo die pri
vate Initiative nicht mehr weiter
kommt oder nicht ausreicht und es
(nach) einer grösseren Koordination
ruft».
Im Kontrast dazu wird in einer
Gemeindeschrift 1994 unterstrichen,
dass Balzers heute eine bestausgebau-
te Infrastruktur besitze: «Schulen,
Gemeindehaus, Alters- und Pflege
heim, Mehrzweckgebäude, Vereins
räumlichkeiten, Jugendzentrum, ein
Haus für die Pfarrei, Anlagen für
Sport und Freizeit und weitere Gebäu
de stehen der Einwohnerschaft zur
Verfügung. (...) Diese äusseren Mög
lichkeiten müssen in den kommenden
Jahren im Interesse einer qualitativen
Verbesserung des Zusammenlebens,
des dörflichen Gemeinsinnes, des
Miteinanders und auch der persönli
chen und individuellen Lebensver
besserung genutzt werden. Es wird
darum gehen, die Gemeinde im Be
reich der inneren Strukturen zu kräf
tigen und zu fördern. Balzers soll ein
Dorf sein, in dem einerseits eine indi
viduelle Lebensart möglich ist, in dem
aber auch Gemeinsamkeit und Ge
meinsinn stark entwickelt sind, und in
dem Solidarität untereinander wich
tig ist und auch praktiziert wird».
Die Bemerkungen deuten an, dass
zwischen den drei Momentaufnah
men - dem wirtschaftlich armen Dorf
Balzers-Mäls 1920, dem 1966 schon
spürbaren Verlust an Gemeinsinn und
den unausgeschöpften Möglichkeiten
der materiell reichen Gemeinde von
1994 - tiefgreifende Prozesse des Wan
dels und der Veränderung in allen
äusseren und inneren Bereichen vor
sich gegangen sind.
Dieser Wandel ist nicht eine für
Balzers spezifische Erfahrung, son
dern hat fast universellen Charakter
und ist damit auch für andere Ge
meinden des Landes - wenn auch in
unterschiedlichem Masse - gültig. Der
Prozess vollzog sich nicht organisch
von innen, sondern unter dem Druck
äusserer Bedingungen und in über
stürzter Weise; entsprechend negativ
konnten die Konsequenzen sein. Auf
der anderen Seite jedoch brachte und
bringt dieser Wandel Gewinn auf ver
schiedenen Feldern: Offenheit, viele
Möglichkeiten, Toleranz, bessere
Schul- und Bildungschancen sowie
eine gegenüber früheren Zeiten un
vergleichliche Besserstellung im ma
teriellen Bereich. Insgesamt jedoch
wurde das Leben in seiner gesamt
kulturellen Dimension, wie es der
Volkskundler Paul Hugger formuliert,
«nivelliert, kommerzialisiert und ra
tionalisiert». Die sichtbare, ja revolu
tionäre Veränderung der äusseren
Lebenswelt bewirkte den vielleicht