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Ein Dorf im Wandel
Anmerkungen und Gedanken
Arthur Brunhart
Das zeitgenössische Schlagwort vom
Wandel und der Veränderung alles
Bestehenden ist heute in aller Munde,
und niemand wird bestreiten, dass die
moderne Zivilisation grundlegende
Veränderungen, teilweise sogar den
Zerfall der traditionellen dörflichen
Strukturen und des kulturellen Le
bens im umfassenden Sinne bewirkt.
In einem rasant verlaufenden Prozess
veränderte sich das altvertraute Dorf.
Überkommenes Brauchtum ver
schwand, lokale Besonderheiten sind
mehr und mehr nur noch historisch
fassbar, alte Gewohnheiten des Mit
einanders innerhalb dörflicher Ge
meinschaften gehen verloren. Verän
derung ist überall auszumachen, sei
es in einer kaum merklichen, allge
meinen Verflachung der Mundart
oder in der Nachahmung und Aus
breitung moderner, halbstädtischer
Lebensformen und Denkweisen.
Es wird nicht zu Unrecht beklagt, dass
dieser Prozess des Wandels mancher
orts in «eine Verarmung und Verein
heitlichung des Volkslebens» münde
(P. Hugger). Die jungen und nach
kommenden Generationen kennen,
heisst es, die ehemals verbindlichen
Sitten, Kriterien und Rahmenbedin
gungen des Lebens der älteren Gene
rationen nicht mehr. Sitte und
Brauch würden überlagert von einer
uniform angelegten Lebensart, die
aber, wenn man sie nur vordergrün
dig betrachtet, als individuell und per
sönlich ausgerichtet erscheint.
Zweifellos sind in vielen Bereichen
negative Seiten des Wandels offen
sichtlich und unwiederbringliche Ver
luste zu verzeichnen, gleichzeitig aber
zeigen sich auf anderen Gebieten sub
stantielle Vorteile und Verbesserun
gen, die man kaum für möglich gehal
ten hatte. Vereinfachend könnte man
sagen, dass jene Formen sich nicht
halten können, die veralten, sich über
lebt haben oder als überlebt betrach
tet werden. Ihr Sinn geht in einer sich
ändernden Welt verloren, weil die
Rahmenbedingungen nicht mehr die
selben sind. Neue Formen des Zusam
menlebens und der Organisation ent
stehen. Diese sind aber - das ist ein
elementarer Unterschied - in der Regel
nicht mehr eigenständige Produkte
der Region oder des Ortes, sondern
werden als Klischees übernommen
oder aufgepfropft.
Wenn wir dörfliches Zusammenleben
und damit verbundene Kultur als in
einem ständigen Prozess der Wand
lung und Verwandlung stehend be
trachten, so hat dieser Prozess negati
ve und positive Seiten in der realen
Lebenswelt wie auch im Bereich des
menschlichen Zusammenlebens und
in der Gesellschaft insgesamt.
Ein geschichtlicher Rückblick
Die Strukturen der heutigen Gemein
de Balzers - wie auch der anderen
liechtensteinischen Gemeinden - sind
im wesentlichen im frühen 19. Jahr
hundert entstanden. Vorher hatte eine
politische Gemeinde mit zentralen
Aufgabenbereichen im Dienste der
Bewohner nicht existiert. Die Dörfer
hiessen Nachbarschaften, deren Be
völkerung genossenschaftlich mit
gleichberechtigten Haushalten orga
nisiert war. Der Haushaltsvorstand
sprach für das ganze Haus. Die
Nachbarschaften hatten gemeinsame
Rechte und Pflichten. Die Gemein
güter, also etwa Allmeinden, Alpen,
Auen und Wälder, waren der Besitz
aller und unterlagen gemeinsamer
Nutzung, der auf der anderen Seite die
Pflicht zur Mitarbeit entsprang. Stras
sen und Wege, Brücken und Zäune,
Wasserleitungen und Rheinverbauun
gen mussten in gemeinsamer Anstren
gung unterhalten werden. Dieses - oft
ungeliebte und belastende - Gemein
werk oder Gemeindewerk, das wenige
Tage oder mehrere Wochen jährlich in
Anspruch nehmen konnte, musste
unentgeltlich im Interesse der Ge
meinde geleistet werden.
Erst im Zuge von staatlichen Refor
men wurden die Nachbarschaften im
Jahr 1808 zu politischen Gemeinden
im heutigen Sinn aufgewertet. Bal
zers teilte die mit der Gemeinde
Triesen gemeinsamen Güter, womit
die Gemeindegrenzen klar gezogen
waren. In den meisten liechtensteini
schen Gemeinden kam es auch zur
Privatisierung grosser Teile der Ge
meingüter. Obwohl die Gemeinden
noch wenig Selbständigkeit besassen,
wurden ihnen bestimmte Aufgaben
bereiche übertragen, etwa im Schul
wesen (Errichtung eines Schulhau
ses), die Ortspolizei und die Verwal
tung des Gemeindevermögens.
Neben den Bürgern und Bürgerinnen
wohnten in den Gemeinden auch
Hintersassen ohne Bürgerrecht in ih
rem Wohnort, also ohne Anrechte an
den gemeinsamen Gütern. Sie konn
ten jedoch Nutzen und Anteil daran
gewinnen, wenn sie das Gemeinde
bürgerrecht erwarben. Die Einkaufs
summe war meist sehr hoch ange
setzt, um Einbürgerungswillige ab
zuschrecken, weil eine Neueinbür
gerung eine Verkleinerung des eige
nen Anteils an den gemeinsamen
Gütern bedeutete. Mit dem Erlass des
Gemeindegesetzes im Jahr 1864
schliesslich erhielten alle Hinter
sassen das Gemeindebürgerrecht der
Gemeinde, in der sie gerade wohnten.
Seit der Mitte dieses Jahrhunderts ist
der Einkauf in den Gemeindenutzen
nicht mehr möglich; unsere Vorfah
ren waren in dieser Hinsicht offener,
wenn auch nicht immer freiwillig,
sondern auf mehr oder minder star
ken Druck von oben.
Mit der Schaffung der Gemeinde
autonomie durch das Gemeindege
setz von 1864 entstanden die Grund
lagen für die heutige Organisation
der Gemeinde. Die Bürger konnten