Volltext: Balzner Neujahrsblätter (1995) (1995)

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Autorität waren streng, ebenso Ge 
horsam und Unterordnung. Man war 
«niemals allein, aber man war auch 
nie einsam, weder in der Freude noch 
bei Alter, Krankheit und Tod» 
(A. Niederer). 
Die früher gemeinschaftlichen Arbei 
ten werden heute von den Gemeinde 
angestellten ausgeführt. Damit ver 
bunden ist ein Verlust, weil Gemein 
schaftsarbeiten unter Nachbarn und 
Freunden eine überaus wichtige so 
ziale Bedeutung hatten. Heute nimmt 
man an gemeinsamen Arbeiten und 
Aktivitäten teil, wenn man gerade 
«nichts Wichtigeres zu tun» hat und 
wenn «nichts versäumt» wird. In die 
ser Einstellung liegt eine gewisse Ge 
fahr für Gruppen, Parteien und Verei 
ne, die gerade in Balzers noch stark 
und zahlreich sind und die viele priva 
te Initiativen tragen. Eine Reaktivie 
rung des früher auch materiell wichti 
gen Gemeinwerkes in neuer Form 
könnte dank der gemeinschafts 
fördernden Wirkung zur Lösung auch 
anderer Gemeindeprobleme beitra 
gen. 
Das Dorf als Gemeinschaft veränderte 
sich mit der Zunahme individualisti 
scher Gesinnung. Die Familie wurde 
auf die Kernfamilie reduziert. Die 
Zahl der erweiterten Familienhaus 
halte ging deutlich zurück. Die erhöh 
ten Raumansprüche, die für jedes 
Kind ein eigenes Zimmer forderten, 
waren mit ein Grund zur weitgehen 
den Aufgabe der Dreigenerationen 
haushalte. Damit verbunden war 
gleichzeitig ein allgemein feststellba 
rer Rückzug ins Familienleben, in die 
abgeschirmte Welt der Kleinfamilie. 
Das Private wurde kultiviert und gilt 
heute als zentraler Aspekt der moder- 
Abb. oben: Am Sonntag beim 
Brunnen im Höfle (ca. um 1961) 
(v.l.n.r.: Josef Vogt (dr Tonele Buab), 
Anton Nigg jun., Jakob Biedermann, 
Gebhard Kaufmann (dr lang Gäbe), 
Eugen Brunschwiler 
(Enkel von Anton Nigg sen.), 
Anton Nigg sen. (dr Seile Tone), 
Franz-Josef Frick (dr Franz Sepp), 
Christian Brunhart 
Abb. unten: Beim Jugendtreff 
Scharmotz, 1993 
nen Gesellschaft; der früher eher 
strenge Konformismus in der Lebens 
art ist einer Vielfalt des individuellen 
Ausdrucks gewichen. 
Soziale Verarmung 
Arnold Niederer hat in seinen Unter 
suchungen des Wandels in Gemein 
den des alpinen Raums eine deutliche 
Zunahme an «sozialer Verarmung» 
festgestellt. Zweifellos bedeutet die 
Zunahme von Individualismus und 
die Kultivierung von Privatsphäre im 
Gefolge der Leistungs- und Konsum 
gesellschaft den Bruch alter Kommu 
nikationsformen und damit die Ver- 
unmöglichung ehemals funktionie 
render Sozialkontakte. 
So waren, wie schon erwähnt, die heu 
te vom Verkehr beherrschten Strassen 
ehemals wichtige dörfliche Kommu 
nikationsorte, wo man Dorfbewoh 
nern, Durchreisenden und Menschen 
von weiter her begegnete. Die Mobili 
tät und damit die Konzentration der 
Versorgungswirtschaft auf wenige 
ausserhalb liegende Einkaufszentren 
haben in manchen Ortschaften die 
ehemals zahlreich vorhandenen Dorf 
läden verdrängt. In dieser Hinsicht hat 
sich Balzers als vergleichsweise resi 
stent erwiesen. Die Dorfgeschäfte hat 
ten (und haben) eine bedeutende 
Funktion im Sinne der dörflichen Öf 
fentlichkeit. Eine solche soziale und 
sachliche Funktion im Alltagsleben 
hatten früher auch die Dorfbrunnen, 
die heute auf den Aspekt der Dorf 
verschönerung reduziert sind. Der auf 
manchen Gebieten spürbaren sozia 
len Verarmung versucht die Gemein 
de durch Veranstaltungen wie Alters 
ausflug, Sporttag und Gemeinde 
wanderungen entgegenzutreten. Vom 
gleichen Gedanken geleitet sind auch 
der Bau von Treffpunkten für alte und 
junge Einwohner/innen und die starke 
Förderung der Vereine, die wenig 
stens teilweise in der Gemeinde eine 
wichtige soziale Rolle spielen. 
Das Alter 
Die ersten Opfer der sozialen Verar 
mung sind die alten Menschen, die in 
der ehemaligen Dorfgesellschaft 
wichtige und unverzichtbare Funktio 
nen innehatten. Sie waren Glieder in 
den Familien, die durch Selbstversor 
gung lebten, sie übernahmen Aufga 
ben etwa in der Erziehung. Heute wer 
den dafür Tagesstätten errichtet und 
Tagesmütter (Väter?) gesucht. Es exi 
stierte in der alten familiären Produk 
tionsgemeinschaft keine «Altersgren 
ze», sondern nur der «allmähliche 
Übergang von schwereren zu leichte 
ren, aber stets nützlichen Beschäfti 
gungen». Es galt vielerorts als Ehren 
sache der Familien, die alten Famili 
enmitglieder bis zum Lebensende im 
Haus zu behalten. Allerdings darf die 
ses Bild nicht idealisiert werden. Es 
gab oft genug auch Fälle, wo zur Fami 
lie gehörende alte Leute - etwa unver 
heiratet gebliebene Onkel und Tanten, 
die keine eigenen Haushalte gegrün 
det hatten (oder gründen konnten) - 
nur noch als ungern im Haus behalte 
ne und an den Rand geschobene 
«Kostgänger» geduldet wurden, so 
bald sie dem produktiven Arbeits 
prozess entzogen und damit zu einem 
belastenden «Kostenfaktor» gewor 
den waren. Mit der Steigerung der 
wirtschaftlichen Möglichkeiten hat 
sich diese Situation verändert. Der 
Gedanke an eine ausserhäusliche Ver 
sorgung der Alten, deren Mithilfe und 
Rat man nicht mehr benötigte und die 
ausserdem oft auch fachkundige Pfle 
ge brauchten, wurde bald nicht mehr 
als abwegig angesehen. Mit der Über 
nahme neuer Aufgaben durch Ge 
meinde und Staat auf dem Gebiet der 
Altersvorsorge und Altenpflege hat 
sich die Situation trotz möglicher Ver 
luste gegenüber den früheren Zeiten 
der Armut massiv verbessert. Die so 
ziale Sicherheit insgesamt ist ein ganz 
entscheidender Gewinn der moder 
nen Gesellschaft. 
Rolle der Medien 
Eine andere Komponente ist der 
Medienkonsum, der bisherige soziale 
Beziehungen ganz eindeutig unter 
gräbt. Das im Menschen unstillbar 
vorhandene Bedürfnis nach Unterhal 
tung wird heute von Medien befrie 
digt, während man früher die Abende 
eher in der Familie, mit Nachbarn und 
Freunden verbracht hat. Die noch im 
mer wichtigen dörflichen Feste, an 
denen früher möglichst alle Bewoh 
ner/innen zur gleichen Zeit am glei 
chen Ort teilnahmen, haben an Be 
deutung verloren. Grund ist, wie Ar 
nold Niederer feststellt, die Massen 
kultur, die «in alle Ritzen des tägli 
chen Lebens eindringt» und den frü 
her deutlichen Unterschied zwischen 
Festtag und Alltag verwischt und auf 
hebt.
	        

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