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Die wachsenden Steuereinnahmen
und die staatlichen Subventionen er
möglichten der Gemeinde den Ein
satz bedeutender Mittel in die Verbes
serung der kommunalen Infrastruk
tur und der öffentlichen Dienstlei
stungen auf Gemeindeebene. Das
Gemeinwerk als Element des dörfli
chen Lebens und Zusammenhaltes
verschwand völlig, die gemeinsame
Anstrengung war nicht mehr nötig,
weil sie gleichsam an die Gemeinde
zur Erledigung delegiert werden
konnte. Die verfügbaren Mittel er
laubten die Realisierung von Werken,
von denen man zuvor nur hatte träu
men können: Wasserversorgung, Ab
wasserentsorgung, neue Schul- und
Gemeindehäuser, Mehrzweckgebäude,
Dorfbibliothek, ein dichtes Strassen-
netz und Sportanlagen. 1972 zog eine
Bank ins Dorf ein, ein untrügliches
Zeichen, dass Nachfrage nach Kredit
bestand und im Dorf Geld «zu holen»
war. Man musste sein Geld nicht
mehr nach Vaduz tragen oder im
Sparstrumpf auf die Diele hängen und
konnte sich gleichzeitig bei Kredit
bedarf an vertraute Leute in der dörf
lichen Bankfiliale wenden.
Das wachsende Einkommen hatte
weiterreichende Konsequenzen. Die
Dorfbevölkerung und der Einzel
bewohner hatten nicht mehr die glei
chen Interessen an gemeinsamen Gü
tern, soweit nicht direkte Vorteile da
mit verbunden waren. Die Konsum
wünsche wurden individuell. Die Stei
gerung der Kaufkraft und damit der
Kauflust kam jedoch nicht dem Ein
zelhandel im Dorf zugute, sondern -
man war ja motorisiert - den in der
Region entstehenden Einkaufszen
tren und Supermärkten. Der dörfli
che Kleinladen mit seiner reichhalti
gen Palette an ausgewählten, oft ge
wünschten Gebrauchs- und Konsum
gütern ging ein.
Auch das Verhältnis zu Geld und Ei
gentum war teilweise Veränderungen
unterworfen, wobei dieses Verhältnis
immer delikat und früher nicht in
jedem Fall besser gewesen sein
musste. Alles «hat seinen Preis» er
halten. Gruppenverpflichtungen wer
den manchmal nur so lange wahrge
nommen, wie man davon profitieren
kann. Während die ältere Generation
teilweise dem traditionellen Wertsy
stem verpflichtet blieb, das den Ge
brauchswert betont und bei dem alles
und jedes «seinen Wert» hat, tritt bei
der jungen Generation die Bewertung
von Leistung, Einkommen und
Konsumkraft in den Vordergrund.
Bevölkerung
Die Wirtschaftsentwicklung der letz
ten Jahrzehnte hatte grundlegende
Umschichtungen innerhalb der Be
völkerung zur Folge. Das Agrar- und
frühere Auswanderungsland wandel
te sich in ein Land mit zahlreichen
Arbeitsplätzen und entsprechend ho
her Zuwanderung. Damit einher ging
eine mehr oder minder latente
Überfremdungsangst, die Angst vor
dem Verlust der dörflichen Identität.
Die Einwohnerschaft von Balzers
umfasste im Jahr 1901 total 1 ’012 Per
sonen, eine Zahl, die sich besonders
seit dem Zweiten Weltkrieg (1945:
1’532 Personen) stark vergrösserte
und 1994 die Höhe von 3’800 schon
überschritten hat. In dergleichen Zeit
wuchs der Anteil der ausländischen
Miteinwohner und -einwohnerinnen
auf über 30 %, während er 1941 noch
ca. 9 % (= 128 Personen) betragen hat.
Die Zunahme ist besonders seit den
Sechzigerjahren markant und in er
ster Linie auf die vom wirtschaftli
chen Wachstum bedingte Zuwande
rung zurückzuführen. Die Dorfbevöl
kerung ist durchmischt. Der Zustrom
ausländischer und anderssprachiger
Personen öffnete neue Blickwinkel,
und die Einheiratung vieler auswärti
ger Frauen und Männer trug zum Auf
brechen von Verkrustungen bei.
Siedlung
Betrachten wir alte Photographien
von Balzers und Mäls aus dem begin
nenden 20. Jahrhundert, zeigen sich
verschiedene Häusergruppen, umge
ben und idyllisch eingebettet in zahl
reiche Obstbaumkulturen. Die Häu
ser, Tennen, Ställe und Schöpfe sind
meist zu Verbünden zusammenge
baut, die Wohnverhältnisse waren
demnach eng, ja beengt. Die Balzner
Wohngebäude gruppieren sich im
wesentlichen entlang der Praiawisch
mit den Ausläufern Obergass und Alte
Churerstrasse, dann vom Züghüsle/
Hotel Post Richtung Egerta, schliess
lich im Gässle und im Winkel. Die
Häuser in Mäls bilden drei Haupt
gruppen, die eine im Gebiet um den
Runda Böchel (Elgagass-Prafatell-
Taleze-Rietle), die zweite entlang der
Landstrasse durch das Mälsner Dorf
mit den Zentren Bröggle und Winkel,
die dritte Häusergruppe schliesslich
verläuft vom Bröggle Richtung St.
Peter die Iradug hinauf. Bekannte
dörfliche Treffpunkte waren das
Höfle in Balzers und das Bröggle in
Mäls.
Abb. links: Bevölkerungsentwicklung
in Balzers ab 1900, mit Wachstums
varianten bis 2015
Abb. rechts oben: Balzers um 1900
Abb. rechts unten: Balzers 1994