6.1.3.2 Rechtfertigungsgründe für den Eingriff
Art 8 Abs 2 EMRK formuliert ausdrücklich einen Eingriffsvorbehalt für das in Abs 1
gewährte Grundrecht: Danach muss zur Rechtfertigung eines Eingriffs durch eine öffentliche
Behörde eine gesetzliche Grundlage dafür vorliegen. Dieser Begriff ist mit Vorgaben verbun-
den, welche nicht nur auf die formellen, sondern auf die materiellen Eigenschaften der gesetz-
lichen Grundlage abzielen. So hat der EGMR zB auch Richterrecht für eine akzeptable Ein-
griffsgrundlage erachtet, was insb für die weithin precedent-basierte Rechtsordnung von Eng-
land und Wales von Bedeutung ist.!”” Das Gesetz muss für den Einzelnen angemessen zu-
gänglich und vorhersehbar — dh hinreichend bestimmt, sodass er sein Verhalten danach aus-
richten kann, und rechtsstaatlichen Anforderungen genügend — sein, um es einen Schutz vor
behórdlicher Willkür darzustellen.!”* Hinsichtlich der Klarheit und Genauigkeit des Gesetzes
sind die Anforderungen umso höher, je intensiver der Eingriff und je unwahrscheinlicher es
ist, dass der Betroffene davon Kenntnis hat.!°?
Des Weiteren muss die Maßnahme, welche einen Eingriff darstellt, „in einer demokrati-
schen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirt-
schaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von straf-
baren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte
und Freiheiten anderer notwendig“ sein. Diese Aufzählung ist taxativ und stellt den staatlichen
Behörden ein Arsenal an legitimen Zielen zur Verfügung, die im Rahmen des Eingriffs ver-
folgt werden müssen.!9? Zu beachten ist dabei, dass die Rsp einen Eingriff stets unter ein oder
1? Vg] EGMR, U 26.4.1979, Sunday Times /. Vereinigtes Kónigreich, Nr 6538/74, Z 47; Pátzold in Karpens-
tein/Mayer, EMRK, Art 8, Rz 92; Meyer-Ladewig, EMRK?, Art 8, Rz 100.
79 Vg] EGMR, U 6.9.1978, Klass ua /. Deutschland, Nr 5029/71, Z 43; U 4.12.2008 (GK), S. & Marper ./.
Vereinigtes Kónigreich, Nr 30562/04 und 30566/04, Z 95; U 16.2.2000 (GK), Amann ./. Schweiz, Nr 27798/95,
Z 55 f; U 4.5.2000 (GK), Rotaru ./. Rumänien, Nr 28341/95, Z 54 f; U 20.5.1999, Rekvényi /. Ungarn, Nr
25390/94, Z 34, 59; s auch Meyer-Ladewig, EMRK?, Art 8, Rz 102 f; s auch Frowein in Frowein/Peukert,
EMRK, Art 8 EMRK, Rz 16, der für die gesetzliche Grundlage eines Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz
„ausreichende Klarheit“ fordert.
159 Vgl Grabenwarter/Pabel®, 8 22, Rz 34 f mwN.
18? Vol Pátzold in Karpenstein/Mayer, EMRK, Art 8, Rz 96; Meyer-Ladewig, EMRK?, Art 8, Rz 108; ausführlich
dazu auch EU-FRA, Handbook on European Data Protection Law (2013), 65 ff.
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