Genossenschaftswesen Liechtenstein
Bedeutung der Bürgergenossenschaften im heutigen Liechtenstein hin, verwalten sie doch über einen
Viertel eines äusserst knappen Guts. Dies macht die Bürgergenossenschaften zu einem wichtigen Akteur
auf dem umkümpften Liechtensteiner Bodenmarkt — und macht die Mitgliedschaft bei einer Bürgerge-
nossenschaft attraktiv. Dabei geht es in den meisten Fállen nicht mehr um die mógliche Nutzung von
land- und forstwirtschaftlichen Gütern, da nur noch ein kleiner Teil der Mitglieder wirtschaftlich darauf
angewiesen ist, als vielmehr um die mógliche Nutzung von Bauland im Baurecht oder Miete von Lie-
genschaften der Bürgergenossenschaft.
Ein weiterer zentraler Aspekt liegt in der emotionalen Bedeutung der Zugehórigkeit zu einer Bürgerge-
nossenschaft. Dies kann Teil des Heimatgefühls und der Selbstidentifikation sein, was auch in den Ab-
stimmungsunterlagen zur Bildung der verschiedenen Bürgergenossenschaften herausgestrichen wurde.
79? Anlásslich der Landtagsdebatte im Dezember 2014 zur Postulatsbeantwortung betreffend die Bedeu-
tung und Sinnhaftigkeit des Instituts des Gemeindebürgerrechts áusserten sich einige Abgeordnete eben-
falls in diese Richtung.'*?
Zugleich wurde in diesem Zusammenhang aber auch kritisch darauf hingewiesen, dass die Schaffung
der Bürgergenossenschaften eine bestehende Mehrklassengesellschaft fortgeführt habe. Dabei werden
drei Kategorien von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern Liechtensteins mit unterschiedlichen Rechten
unterschieden: (a) diejenigen mit Wohnsitz in ihrer Heimatgemeinde und Mitgliedschaft bei der Bür-
gergenossenschaft, (b) diejenigen mit Wohnsitz in ihrer Heimatgemeinde ohne Mitgliedschaft in der
Bürgergenossenschaft sowie (c) diejenigen mit Wohnsitz in einer anderen Gemeinde Liechtensteins. !*!
Ein solcher führt in den Bürgergenossenschaften Mauren und Eschen zu einem Stimmrechtsausschluss,
nicht jedoch in Balzers, Triesen und Vaduz.'?
Was den einen Heimat und Identität stiftet, nämlich die Mitgliedschaft bei einer Bürgergenossenschaft,
lässt andere vor verschlossener Tür stehen. Die Exklusivität einer Gemeinschaft kann — im wahrsten
179 In der Abstimmungsbroschüre vom Dezember 2002 über die Errichtung der Bürgergenossenschaft Triesen heisst es unter
den Pro-Argumenten: „Es ist eine schöne Aufgabe, durch die Mitgliedschaft in der Bürgergenossenschaft Verantwortung für
die Erhaltung von etwas historisch Gewachsenem zu übernehmen. Die Bürgergenossenschaft ermöglicht es ihren Mitglie-
dern, sich mit ihrem Heimatort zu identifizieren und sich im Dienste der gesamten Öffentlichkeit einzusetzen.“ (Gemeinde
Triesen (Hrsg), Abstimmung Bürgergenossenschaft 32).
In den Vaduzer Unterlagen heisst es: „Über die Verwaltung des Vermögens hinaus soll die Bürgergenossenschaft zudem die
bestehende Rechtstradition verstärkt ins Bewusstsein rufen, zum kulturellen Leben in Vaduz beitragen und die Verbunden-
heit der Genossenschafter mit ihrem Heimatort Vaduz stärken, indem sie Verantwortung für eine nachhaltige Gestaltung
dieser Heimat übernimmt.“ (Gemeinde Vaduz (Hrsg), Dokumentation und Information zur Bürgerversammlung vom 30.
August 2010 (2010) 14, verfügbar unter www.bgvaduz.li/BGVaduz/Geschichte.aspx (abgefragt am 3. März 2016)).
1$? Landtag des Fürstentums Liechtenstein (2014): Postulatsbeantwortung betreffend die Bedeutung und Sinnhaftigkeit des
Instituts des Gemeindebürgerrechts (Nr. 112/2014). In: Landtagsprotokoll der Sitzung vom 3. Dezember 2014, 2284—2297.
15! Landtag des Fürstentums Liechtenstein (2014): Postulatsbeantwortung betreffend die Bedeutung und Sinnhaftigkeit des
Instituts des Gemeindebürgerrechts (Nr. 112/2014). In: Landtagsprotokoll der Sitzung vom 3. Dezember 2014, 2285.
182 Art 6 Abs 1 der Statuten der jeweiligen Bürgergenossenschaft.
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