„Eine bindende Vereinbarung erfordert immer den Willen der vertragsschliessenden
Staaten, Rechte und Pflichten zu schaffen und ihre Beziehungen dem Völkerrecht zu
unterwerfen." *" Damit soll abschliessend noch klargestellt werden, dass die
Bindungswirkung der vorlaufigen Anwendung aber auch immer Teil der Autonomie
der Vertragspartner ist und damit dem Willen 3%
eben dieser Vertragspartner
unterliegt. Dies eröffnet den Raum für Eingrenzungen der vorlaufigen Anwendung
speziell in ihrer Bindungswirkung. So ist in einem Vertrag, der vorláufig angewendet
werden soll, oft eine ,Beschránkungsklausel" (Limitation Clause???)
zu finden, dass
die vorläufige Anwendung nur insoweit Geltung erlangt, als sie mit den
verfassungsrechtlichen Vorgaben eines jeden Staates vereinbar ist.“°°
4.3.2 Rechtsfolgen bei Vertragsverletzung
Nachdem die rechtliche | Bindungswirkung der vorläufigen Anwendung von
völkerrechtlichen Verträgen eingehend behandelt und geklärt wurde, drängt sich nun
die Frage auf, wie sich allfällige Rechtsfolgen bei einer Vertragsverletzung eines
vorläufig angewendeten völkerrechtlichen Vertrages darstellen. Die Rechtswirkung
der vorläufigen Anwendung schafft also Rechte und Pflichten, die sich aus einem
völkerrechtlichen Vertrag begründen lassen. Somit ist er auch dem Völkerrecht
unterstellt und kann die Konsequenzen eines Vertragsbruchs nach dem Völkerrecht
bewirken. ^?!
Bei einer erheblichen Vertragsverletzung ist also die andere Vertragspartei
berechtigt, den Vertrag zu beenden oder zu suspendieren, weil dieser Partei nicht
zugemutet werden kann, seinerseits weiterhin zur Erfüllung des Vertrages
verpflichtet zu sein (inadimplenti non est adimplendum).*° Dies geht aus Art. 60
°° Montag, vorl. Anwendung, 1986, S. 50.
39? Dieser Wille der Vertragspartner zielt nach logischer Überlegung wie gerade beschrieben auf eine
Bindungswirkung der vorláufigen Anwendung ab. Dies ergibt sich besonders ,aus dem Prinzip des
Vertrauensschutzes sowie Sinn und Zweck der vorlüufigen Anwendung" (Montag, vorl. Anwendung, 1986, S.
51).
Zu diesen Beschránkungsklauseln (,Domestic Limitation Clause") siehe im speziellen und sehr ausführlich
Ishikawa, Domestic law, 2016, S. 277ff, sowie Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties, 2012, S. 95ff.
Vgl. Montag, vorl. Anwendung, 1986, S. 54. Ein Beispiel dafür bildet wie oben schon erwühnt Art. 45 Abs. 1
ECT, oder auch Art. 45 Abs 5 des Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und der Republik
Tunesien (LGBI. 2006/191).
Aktuell und deutlich zum Thema Rechtsfolgen der vorlàufigen Anwendung der Special Rapporteur ,on the
provisional application of treaties" des ILC Gómez-Robledo, Third report, 2015, S. 12: ,4.../In that respect the
legal consequences of the provisional application of a treaty are the same as the legal consequences of its
entry into force." Und weiter dazu in Second report, 2014 S. 16: ,Given that provisional application produces
legal effects and is capable of creating rights and obligations under international law, it may be concluded that
a breach of an obligation arising from the provisional application of a treaty will also have legal consequences,
including all those established by the law of State responsibility for internationally wrongful acts. "
4? ygl. Heintschel von Heinegg, Quellen, 2014, S. 459.
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