«Hie Volkspartei — hie Bürgerpartei».
Einblicke in die politische Kultur
Liechtensteins in der Zwischenkriegszeit
anhand von Landtagswahlkämpfen
Donat Büchel
Einleitung
Am Ostermontag 1926, dem 5. April, fanden in Liechtenstein vorgezo-
gene Landtagswahlen statt, weil sich die beiden Parteien, die Volkspartei
(VP) und die Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP), nach den Landtags-
wahlen vom Januar des gleichen Jahres nicht auf die Zusammensetzung
der Regierung hatten einigen können. Der höchste Geistliche in Liech-
tenstein, Landesvikar Dr. Georg Marxer, appellierte im Vorfeld in den
beiden Landeszeitungen — den Liechtensteiner Nachrichten und dem
Liechtensteiner Volksblatt — «[aln das katholische Volk von Liechten-
stein», «in diesen Tagen doch nichts zu tun oder zu reden, was der Hei-
ligkeit der kommenden Tage nicht entspricht.»! Offensichtlich stiess die-
ser Aufruf aber auf taube Ohren, denn in beiden Landeszeitungen,
gleichzeitig Parteiorgane, war schon wenig später von «persönlichen
Anfeindungen»,? «haßerfüllten Unwahrheiten»* und «gemeinen» Flug-
blättern* die Rede. Die Liechtensteiner Nachrichten berichteten, es habe
sich um «einen beispiellos heftigen Wahlkampf» gehandelt.
Diese Landtagswahlen waren keine Ausnahme. Klagen über «Aus-
wüchse im Wahlkampf»® sowie über «persönliche Verunglimpfungen
Liechtensteiner Nachrichten und Liechtensteiner Volksblatt, 24. März 1926.
Liechtensteiner Volksblatt, 3. April 1926.
Liechtensteiner Nachrichten, 3. April 1926.
Liechtensteiner Volksblatt, 14. April 1926.
Liechtensteiner Nachrichten, 7. April 1926. Die Landtagswahlen brachten keine Lö-
sung im Streit um die Ernennung von Dr. Ludwig Marxer zum Regierungsrat. Der
von der Bürgerpartei nominierte Marxer wurde von der Volkspartei abgelehnt. Die
beiden Parteien einigten sich schliesslich im September 1926 (siehe Quaderer-Vogt,
Bewegte Zeiten, Bd. 2, S. 288-292).
6 Liechtensteiner Nachrichten, 19. Juli 1928.
NN
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