Markus Furrer
der Schweiz geriet Liechtenstein bereits vor dem Zweiten Weltkrieg und
dann zu Beginn des Kalten Krieges aufgrund der sogenannten Ellhorn-
Frage. Diese Bergspitze an der Schweizer Grenze war ein strategisch
wichtiger Punkt. Mit einem Grenzvertrag wurde 1949 das Ellhorn zur
Schweiz geschlagen und mit Bodentausch entsprechend kompensiert.
Die nachfolgenden Darstellungen der Nachkriegszeit charakteri-
sieren den beschleunigten Modernisierungsprozess und den gesellschaft-
lichen Wandel. Liechtenstein entwickelte sich ab den 1940er-Jahren von
einem Agrarland zu einem Industrie- und Dienstleistungsstaat. Die
Gründe für das «Wirtschaftswunder Liechtenstein» sehen die Autoren
in der stabilen politischen Situation des Landes, in den Standortvortei-
len des Kleinstaates und seiner engen ökonomischen Verbindung zur
Schweiz. Eine wichtige Funktion haben dabei die «Auslagerung von
Aufgaben und die Vermarktung der Souveränität».“"
Ein weiteres Thema ist die Veränderung des Lebensraums mit den
problematisierten Bezügen der «Verarmung des Naturraums», dem
Wandel des Lebensalltags, der Entwicklung des Sozialstaats, der Ar-
beitsmigration, Heiratsmigration sowie Fluchtmigration nach Liechten-
stein. Ähnlich der Schweiz erweist sich auch das politische System
Liechtensteins als überaus stabil in den Nachkriegsdekaden. Erschütte-
rungen traten mit dem Ende des Kalten Krieges auf: Erwähnung findet
die Staatskrise von 1992 im Zusammenhang mit der Abstimmung über
den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Die Folge war
eine emotional geführte Verfassungsdiskussion, die bis 2003 dauerte.
Thematisiert wird weiter der lange Weg zum Frauenstimm- und -wahl-
recht in Liechtenstein, der sich bis 1984 hinzog und auch mit der fehlen-
den bürgerrechtlichen Gleichstellung der liechtensteinischen Frauen
zusammenhing.
Ein wichtiger Akzent in der Geschichte eines Staates ist sein Ver-
hältnis zur Aussenwelt: «In der Aussenpolitik hat Liechtenstein grund-
sätzlich die gleichen Aufgaben zu [6sen wie andere souverine Staaten.»*?
Für den Kleinstaat sind die bilateralen Beziehungen zu seinen beiden ein-
zigen Grenznachbarn von höchster Bedeutung, darin eingeschlossen die
Schweizer Kantone St. Gallen und Graubünden und das Bundesland Vor-
41 Biedermann/Biichel/Burgmeier, Wege in die Gegenwart, S. 118.
42 Ebenda, S. 233.
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