Hans Stricker
Daneben trat die Erfassung der gegenwärtig verwendeten Taufnamen
durch die Auswertung der Einwohnerlisten des Amtes für Statistik.
Dabei wurde der Schlusspunkt bei den im Jahr 1950 Geborenen gesetzt.
Dies mag willkürlich erscheinen; jedoch war eine zeitliche Limite zur
Gegenwart durchaus ratsam, wollte man nicht das völlige Ausufern der
Liste angesichts der fast grenzenlosen Vielfalt der modernen Namenge-
bung riskieren.
Bei den Vornamen galt es, die herkömmliche Aussprache der Na-
men zu erfassen, in allen ortsüblichen Varianten (Vollform, Koseformen,
Kurzformen, allenfalls Nähe-, Respekt- und Distanzformen). Hier liess
sich beobachten, wie über die Rufnamen das soziale beziehungsweise
das emotionale Verhältnis zwischen Sprechern und Angerufenen ausge-
drückt wird und welches Register von formalen Abstufungen hier zur
Verfügung steht (oder stand), um dieses Verhältnis auszudrücken.
Ganz allgemein lässt sich sagen, dass jede Region, ja jede Gemeinde
über einen traditionellen Schatz gebräuchlicher, nach innen und von aus-
sen als typisch erkannter Vornamen verfügt. Ebenso sind Vorkommen
und Häufung von Doppelnamen in ihren besonderen Kombinationen oft
räumlich eng begrenzt. In den unterschiedlichen Repertoires von Taufna-
men drückt sich Gruppenidentität aus, vertraute Namenbilder lassen sich
Gemeinschaften zuordnen. Bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts war die
lokaltypische Forterhaltung dieser Namenmuster im Allgemeinen
gewährleistet durch den Brauch des «Nachtaufens», also der durch die
Tradition vorgeschriebenen Weitergabe der gleichen Namen innerhalb
derselben Familie, meist nach mehr oder weniger festgelegten Regeln.
Der Stein des Anstosses:
Die Ruf- und Sippschaftsnamen
Die Rufnamen, auch Übernamen oder Vulgonamen, sind als nicht-offi-
zielle Namengruppe ganz der lokalen (innerdörflichen) Verständigung
vorbehalten. Sie stellen Gemeingut einer Dorfgemeinschaft dar, und
jeder Einwohner, ob Bürger oder Zugezogener, kann mit einem solchen
Zunamen bedacht werden. Der Rufname gleicht einem Code, der nur
für die Einheimischen dechiffrierbar ist. Über ihn wird der einzelne
Dorfbewohner im sozialen Netz situiert, als Teil dieses Sozialgefüges
identifiziert. Die an die Person gebundenen Übernamen sind grundsätz-
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