Kunstsoziologische Forschung im Fürstentum Liechtenstein
Josef Huber auch der Maler Matthäus Schiestl und der Bildhauer Georg
Wrba zu Besuch, beide Studienfreunde von Egon Rheinberger aus der
Münchner Zeit. Schiestl machte damals Entwürfe für Liechtensteiner
Briefmarken und bat Rheinberger um Motive. Zu den alljährlichen Som-
merbesuchern gehörten zudem zwei Kreative aus Liechtenstein, die einst
ihren beruflichen Weg nach Deutschland gegangen und nun wieder in
Liechtenstein anzutreffen waren: Architekt Franz Roeckle mit Büro in
Frankfurt bis 1944, in den 1930er-Jahren unter anderem mit dem Bau des
Rathauses in Vaduz befasst,” und der bereits erwähnte und unten näher
beschriebene Künstler Professor Ferdinand Nigg, der 1931 nach rund
50 Jahren Auslandsaufenthalt aus Köln in seine Heimat zurückgekehrt
war.*® Die «Familie» der Kunstschaffenden im Land war noch klein.
Ferdinand Nigg (1865-1949)
Wie sah das familiäre Umfeld von Ferdinand Nigg aus? Welche Netz-
werke konnte er nutzen? Der 1865 geborene Ferdinand Nigg wird als
«ein schwächliches, zart gewachsenes Kind, mehr Mädchen als Bub»
beschrieben.“ Sein Elternhaus war die obere Mühle im Mühleholz bei
Vaduz, die seine Eltern erworben hatten. Die Mühle diente der Familie
als Existenzgrundlage. 1882 begann Nigg eine Lehre im Atelier Orell-
Füssli in Zürich, lernte dort technisches Zeichnen und Autografieren.
Peter Balzer, selbst als Zeichner in Zürich tätig, hatte zuvor den ehema-
ligen Vaduzer Bürgermeister Alois Rheinberger, den Bruder der Mutter
des jungen Ferdinand, kontaktiert. Man suchte in Zürich einen Jungen
mit Talent und Lust zum Beruf als Zeichner.
Nach seiner Lehre besuchte Nigg in Zürich berufsbegleitend die
Kunstgewerbeschule. Ein breites Wissensspektrum tat sich vor thm auf,
an das er in der Heimat nie gelangt wire: Zeichnen, Modellieren, Kunst-
geschichte, Stillehre und anderes. Die Tür öffnete sich weiter. 1895 arbei-
tete er in München als Zeichner und Lithograf, nahm künstlerischen
37 Hilti-Roeckle/Roeckle/Zimmermann (Hrsg.), Franz Roeckle.
38 Rheinberger, Erinnerungen, S. 93-94.
39 Siche beispielsweise Frommelt, Ferdinand Nigg; Kliemand, Ferdinand Nigg; Meyer-
Stoll (Hrsg.), Ferdinand Nigg.
40 Frommelt, Ferdinand Nigg, S. 47.
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