Aspekte einer kunstsoziologischen
Forschung im Fürstentum Liechtenstein
Cornelia Herrmann
Künstler zwischen Sicherheit, Freiheit
und Konkurrenz
Es gibt nicht eine, sondern mehrere Kunstgeschichten, die sich dem glei-
chen Stoff von verschiedenen Seiten nähern.! In den Fokus der Kunstge-
schichtsforschung ist zunehmend die Beziehung der Kunstwerke und
damit der Kunstschaffenden zur Gesellschaft getreten. Bereits in den
1930er-Jahren setzte sich der in Deutschland lehrende Kunsthistoriker
Martin Wackernagel mit dem Lebensraum der Künstler in der florenti-
nischen Renaissance auseinander.” Der schwedische Kunsthistoriker
Gregor Paulsson führte die Begriffe der historischen Situation und des
historischen Ortes in die Kunstgeschichtsschreibung ein, um die Kom-
plexität der Vorgänge zwischen Künstler und Gemeinschaft zu erklären.?
«Immer trat die Kunst in Zeiten hervor, wo der Wohlstand im
Wachsen war. [...] Kunst sitzt gerne am Feuer der Herren, die etwas
haben. So sass sie um die Fürsten herum, auf den Sesseln, die den Bischof
umgaben, bei den grossen und kleinen Aristokraten der alten Tage bis
hin zu dem unvergesslichen Fürstenhofe zu Weimar.»* Friedrich Nau-
mann beschrieb 1904 mit diesen Zeilen die Situation der arrivierten
Künstler vergangener Zeiten auf ihren Logenplätzen.
In den Städten, in denen sich eine kapitalistische Konkurrenzge-
sellschaft entwickelte, waren die Künstler in Zünften oder Gilden zu-
sammengefasst. Diese hatten Material für ihre Mitglieder zu besorgen,
das Preisniveau im Auge zu behalten und den Wettbewerb zu dämpfen.
Belting, Kunstgeschichte, S. 122; Kultermann, Kunstgeschichte.
Wackernagel, Lebensraum des Künstlers.
Paulsson, Soziale Dimension.
Naumann, Zeitalter der Maschine, S. 317.
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