Antisemitismus und die Erklärung Nostra aetate
erlaubt.” Mit Recht warnen Theologen wie Peter Hünermann, Otto
Hermann Pesch oder Jan-Heiner Tück, die im jüdisch-christlichen Dia-
log besonders engagiert sind, davor, der Piusbruderschaft und dem tri-
dentinischen Ritus wieder ein volles Heimatrecht in der Kirche zu
gewähren.“ Das Problem liegt nicht nur im alten Ritus und in ästheti-
schen Fragen der Gottesdienstgestaltung, sondern viel grundlegender in
der Ablehnung von Nostra aetate. Das Verhältnis zum Judentum würde
durch eine vorschnelle Rehabilitierung der Piusbruderschaft enormen
Belastungsproben ausgesetzt.
So sind die Errungenschaften und Impulse, welche Nostra aetate
Mitte der 1960er-Jahre gesetzt hat, bis heute eine bleibende Herausfor-
derung für die Kirche. Nostra aetate bildet einen wichtigen Prüfstein für
die kirchliche Liturgie, Verkündigung, Theologie, Pastoral und Kate-
chese. Zudem setzte Nostra aetate eine unhintergehbare Orientierungs-
marke für den jüdisch-christlichen Dialog sowie für die Begegnung und
Verständigung mit anderen Religionen. Am Dialog (Colloquium) unter
den Religionen führt heute kein Weg vorbei, das zeigt auch ein Blick auf
die aktuelle Weltlage. Die Konzilsversammlung hat dies bereits vor fünf-
zig Jahren erkannt.
39 Erst nach massiver Kritik von Vertretern des Judentums sowie von christlichen
Theologen legte Papst Benedikt XVI. im Februar 2008 eine Neufassung vor, die
allerdings der alten Substitutionstheorie verhaftet bleibt: «Lasst uns auch beten für
die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Chris-
tus erkennen, den Retter aller Menschen.» Die Überschrift im Missale von 1962 Pro
conversione Judaeorum blieb unverändert — diese Vorlage wird fiir die ausseror-
dentliche Form des römischen Ritus verwendet.
40 Otto Hermann Pesch hat seinem bekannten Konzilsbuch zur Neuauflage 2010 ein
energisches Nachwort angefügt: «Zur Aufhebung der Exkommunikation der
Bischöfe der Priester-Bruderschaft St. Pius X.». Darin äussert er sich sehr enttäuscht
über die Entwicklung seit den 1990er-Jahren. Die «Pius-Brüder lehnen das Zweite
Vatikanische Konzil in allem ab, wo es neue Wege der Kirche einschlägt — insbeson-
dere die Aussagen über Religionsfreiheit, das Verhältnis der Kirche zum Judentum
und selbstverständlich die ökumenische Öffnung. Also tatsächlich: Aus der
"Traum?». Siehe Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil, S. 387-392, hier S. 388.
Ähnlich Tück (Hrsg.), Erinnerung an die Zukunft, S. 85-96; Eckholt/Heyder
(Hrsg), Peter Hiinermann im Gesprich, S. 179-181.
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