Volltext: Geschichte erforschen - Geschichte vermitteln

Günther Boss 
Auch der judisch-christliche Dialog hat durch Nostra aetate einen neuen 
Impuls erfahren. Es ist heute im katholischen Raum üblich, das Alte Tes- 
tament und die jüdische Religion sehr viel intensiver zu studieren, als es 
vor dem Konzil der Fall war. Die Kontinuitäten zwischen Altem und 
Neuem Testament werden wieder stärker beachtet und betont als die 
Diskontinuitäten. Die evangelische Theologie hat seit den 1960er-Jahren 
eine ähnliche Entwicklung durchgemacht, wofür etwa die Arbeiten von 
Jürgen Moltmann oder Dorothee Sölle beispielhaft stehen mögen.*° Die 
überlieferungsgeschichtliche Schule und darin insbesondere der Alttes- 
tamentler Gerhard von Rad hat wieder neu die Kontinuität von Altem 
und Neuem Bund sehen gelehrt.” Ein prominentes Beispiel aus dieser 
überlieferungsgeschichtlichen Schule ist der evangelische Systematiker 
Wolfhart Pannenberg, der auch im jüdisch-christlichen Dialog engagiert 
war. In seinem Gespräch mit dem jüdischen Gelehrten Pinchas Lapide 
hält er als erste These fest: «Das Christentum darf sich im Verhältnis 
zum Judentum nicht als eine neue Religion verstehen, deren Anfänge 
nur historisch zufällig im jüdischen Volk lagen. Vielmehr ging es in der 
Verkündigung Jesu um nichts anderes, als um den wahren Sinn des judi- 
schen Gottesglaubens selbst, und das Christentum bleibt an diesen Aus- 
gangspunkt gebunden.»* 
Im katholischen Raum kann man beispielsweise den Rahner-Schü- 
ler Johann Baptist Metz nennen, der sich intensiv mit dem Schicksal des 
jüdischen Volkes und der Rolle der christlichen Theologie darin ausei- 
  
30 Grundlegend fiir die Theologie Jürgen Moltmanns ist sein Buch «Theologie der 
Hoffnung» von 1964, das stark vom jüdischen Verheissungsglauben beziehungs- 
weise Messianismus geprägt ist und die politische Theologie der 1960er- und 
1970er-Jahre massgeblich beeinflusst hat. Von Dorothee Sölle wären viele Publika- 
tionen zu erwähnen, angefangen von den politischen Nachtgebeten bis hin zum 
Buch «Gott denken. Einführung in die Theologie» von 1990, in dem sie ihr befrei- 
ungstheologisches Anliegen systematisch darstellt und gegen eine orthodoxe sowie 
liberale Theologie abgrenzt. 
31 Besonders einflussreich wurde Gerhard von Rads zweibändige Theologie des Alten 
Testaments, die 1957 in erster Auflage erschien, in viele Sprachen übersetzt und 
mehrfach nachgedruckt wurde. Von Rad hat sich durch seine biografischen Erfah- 
rungen mit dem Antisemitismus im Dritten Reich intensiv auf die Überlieferungen 
des Alten Testaments eingelassen. Er öffnete durch seine theologische Deutung des 
Alten Testaments wieder den Blick auf die Kontinuitäten zwischen dem Glauben 
Israels und der Verkündigung Jesu. 
32 Lapide/Pannenberg, Judentum und Christentum, S. 19. 
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