Bürgertum im Bauernland
1914 eröffnete der in Zürich promovierte Jurist Dr. iur. Wilhelm Beck
(1885-1936) die erste liechtensteinische Rechtsanwaltskanzlei in
Vaduz.” Mit Beck, der massgeblich an der Schaffung der Verfassung von
1921 und des Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR) von 1926 betei-
ligt war, und mit dessen ab den 1920er-Jahren auftretenden Treuhänder-
Kollegen wie Dr. Ludwig Marxer und Guido Feger'® setzte die Ent-
wicklung hin zu einem finanzwirtschaftlichen Biirgertum in Liechten-
stein ein. Wie auch die Mitarbeiter der 1920 gegrindeten Bank in
Liechtenstein!® stehen sie fir eine neue, das 20. Jahrhundert prigende
wirtschafts- und gesellschaftsgeschichtliche Phase.
Zu den freien Berufen gehörten schliesslich auch die Kunstschaf-
tenden, denen Liechtenstein allerdings kein Auskommen bieten konnte.
Bildende Künstler wie Moriz Menzinger, Hans Gantner und Ferdinand
Nigg oder der Komponist Josef Gabriel Rheinberger lebten und arbeite-
ten vorab im Ausland. Vielleicht der erste in Liechtenstein lebende
Liechtensteiner Kulturschaffende war Egon Rheinberger (1870-1936).
Er hatte in den 1890er-Jahren an der Kunstakademie in München stu-
diert und dort als freischaffender Bildhauer gewirkt. Nach seiner Rück-
kehr nach Liechtenstein 1902 war er vornehmlich als Architekt, Burgen-
restaurator und Wirt tätig.'®
Das Wirtschaftsbürgertum
Ein Wirtschaftsbürgertum als neben dem Bildungsbürgertum zweites
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«Segment» der bürgerlichen Gesellschaft!“ entwickelte sich in Liechten-
stein im 19. Jahrhundert nur rudimentär.
99 Siehe Vogt (Redaktion), Wilhelm Beck; Gerda Leipold-Schneider, «Beck, Wilhelm»,
in: HLFL, S. 82-83. Siche auch den Beitrag von Arthur Brunhart in diesem Band.
100 Der Jurist Dr. Ludwig Marxer (1897-1962) eroffnete 1925 die zweite liechtensteini-
sche Anwaltskanzlei (siehe Christoph Maria Merki, «Marxer, Ludwig», in: HLFL,
S. 588). Guido Feger (1893-1976) griindete 1929 das erste reine Treuunternechmen
(siehe Hans Peter Lussy, «Feger, Guido», in: HLFL, S. 215).
101 Sie Alexander Meili, «<LGT Bank in Liechtenstein», in: HLFL, S. 502-503.
102 Siehe Elisabeth Crettaz-Stiirzel, «Rheinberger, Egon», in: HLFL, S. 758-760, und
den Beitrag von Cornelia Herrmann in diesem Band.
103 Budde, Bliitezeit, S. 7. Siehe dazu Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 185-210,
Bd. 3, S. 112-125; Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 205-210.
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