Volltext: Geschichte erforschen - Geschichte vermitteln

Fabian Frommelt 
wuchs im 19. Jahrhundert jener Bevölkerungsteil, der weder der Bauern- 
schaft noch dem traditionellen Dorfgewerbe, weder den unterbäuerli- 
chen Schichten noch der entstehenden Arbeiterschaft zuzurechnen ist. Es 
wuchs — das möchte dieser Beitrag zeigen — eine kleine bürgerliche 
Schicht, gering an Zahlenstärke, aber gross an gesellschaftlichem Einfluss. 
1861 berichtete Landesverweser Karl Haus von Hausen nach Wien, 
man höre «vom Bürger und vom Bauer» nichts als Klagen,* und ver- 
deutlichte damit das zeitgenössische Bewusstsein für die Existenz einer 
bürgerlichen Schicht neben der Bauernschaft. Auch den Historikerinnen 
und Historikern blieb dies selbstverständlich nicht verborgen: «Neben 
einer kleinen Gruppe von einigermassen Gebildeten — einige Ärzte, 
Geistliche, Beamten, Lehrer und Handelsleute — treten aus der Masse der 
Bauern die [...] Sommer für Sommer in die Schweiz ziehenden Taglöh- 
ner hervor.»* Als «bürgerlich» bezeichnet wurden diese «einigermassen 
Gebildeten», die meist deutsche oder österreichische Universitäten und 
Seminare absolviert hatten, jedoch kaum, und zum Gegenstand eigener 
Untersuchungen sind sie erst recht nicht geworden. Überhaupt ist die 
Sozial- und Gesellschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts — im Gegensatz 
zur politischen Geschichte und zur Wirtschaftsgeschichte* — bis heute 
ein Stiefkind der liechtensteinischen Geschichtsschreibung geblieben. 
Der im liechtensteinischen Geschichtsbewusstsein geringe Stellen- 
wert des heimischen Biirgertums,® der auffillig mit dessen herausragen- 
2 Landesverweser Karl Haus von Hausen am 4. September 1861 an Fiirst Johann IL, 
zitiert nach Geiger, Geschichte, S. 256. 
3 Geiger, Geschichte, S. 36. 
4 Zur politischen Geschichte des 19. Jahrhunderts siehe Malin, Geschichte; Quaderer, 
Geschichte; Geiger, Geschichte; zum frithen 20. Jahrhundert Quaderer-Vogt, Be- 
wegte Zeiten. Zur Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts siehe Ospelt, Wirt- 
schaftsgeschichte, zu jener des 20. Jahrhunderts Merki, Wirtschaftswunder. 
5 Klaus Biedermann hat in jiingster Zeit mehrere Quellenstudien zu den unterbiuer- 
lichen, nichtsesshaften Bevélkerungsteilen vorgelegt, sieche Biedermann, «Aus 
Überzeugung ...», und seinen Beitrag in diesem Band. Einen Überblick über den 
Stand der liechtensteinischen Geschichtsforschung gibt Arthur Brunhart, «Histo- 
riografie», in: HLFL, S. 361-363. 
6 Rupert Quaderer nannte jüngst in einem Überblick über Forschungsdesiderata der 
liechtensteinischen Geschichte des 19. Jahrhunderts die «Arbeiter- und Arbeiterin- 
nenfrage», «Randgruppen wie Bettler, Vaganten, fahrende Händler», «Mägde und 
Knechte» sowie «Soldaten», aber nicht das Bürgertum (siehe Quaderer, For- 
schungslücken, S. 120-121). 
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