Die europäischen Christlichdemokraten,
die Schweiz und Liechtenstein
Urs Altermatt
Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten sich in einer lose koordinierten
Aktion christlichdemokratische Parteien, die Westeuropa in den ersten
dreissig Jahren nach dem Krieg in hohem Masse prigten.! Vorausgegan-
gen war ein entscheidender Kurswechsel der katholischen Kirche, die
sich am Ende des Zweiten Weltkrieges endgültig zur demokratischen
Staatsform bekannte.? Nach dem französischen Historiker Jean-Marie
Mayeur schlossen die Christlichdemokraten in der Regel an katholische
Parteien an, in Deutschland an das «Zentrum» oder in Italien an den Par-
tito Popolare Democratico. In Europa hinterliessen die furchtbaren Ver-
wüstungen durch den Weltkrieg, die Knebelung der liberalen Freiheiten
durch die Diktaturen und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit an
den europäischen Juden traumatische Spuren und verhalfen der Renais-
sance christlich-konservativer Kräfte zum Durchbruch. Nach 1945 stan-
den die christlichdemokratischen Parteien für Demokratie, Freiheit und
Menschenrechte ein und wurden zu Promotoren der sozialen Markt-
wirtschaft. Aus der bitteren Erfahrung der beiden Weltkriege lehnten die
Christlichdemokraten nicht nur den Kommunismus des Sowjetimperi-
ums, sondern auch jeglichen Nationalismus ab und traten von Anfang an
für die internationale Zusammenarbeit Westeuropas im Rahmen der
NATO ein. Was die Parteiführer betrifft, ist an erster Stelle das Dreige-
stirn Robert Schuman (Frankreich), Alcide De Gasperi (Italien) und
Konrad Adenauer (Bundesrepublik Deutschland) zu nennen.?
1 Dieser Beitrag stützt sich auf Altermatt, Das historische Dilemma der CVP; dort
sind auch weitere Literatur- und Quellenangaben zu finden. Siehe zuletzt beispiels-
weise Altermatt, Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz (CVP).
2 Siehe dazu unter anderem Wolf (Hrsg.), Eugenio Pacelli als Nuntius in Deutsch-
land; Altermatt, Katholizismus und Demokratie im 20. Jahrhundert.
3 Zum Thema der europäischen Christdemokratie verweise ich aus der Fülle der Lite-
ratur auf folgende Werke, die mir im Laufe der Jahrzehnte für die vergleichende
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