Wilfried Marxer
Abstimmung vor das Volk. Erst im März 1930 kam es wieder zu einer
Volksabstimmung über eine Verfassungsmaterie. Es handelte sich um
eine Volksinitiative der Christlich-sozialen Volkspartei zur Abänderung
des Wahlrechts. Das damals bestehende Mehrheitswahlrecht führte zu
einer verzerrten Mandatsverteilung im Landtag. Bei mehreren Wahlgän-
gen eroberte die Volkspartei alle oder die meisten Mandate im Oberland,
während die Fortschrittliche Bürgerpartei im von ihr dominierten
Unterland alle Mandate zugeteilt bekam. Nach der Sparkassa-Affäre
beziehungsweise dem Sparkassaskandal von 1928” sank die Wähler-
gunst für die Volkspartei rapide und sie verlor nach der Landtagsauflö-
sung bei den vorgezogenen Landtagswahlen vom 15. Juli 1928 einen
Grossteil ihrer Oberländer Mandate. Die Mehrheitsverhältnisse im
Landtag hatten zugunsten der Bürgerpartei gekehrt. Aufgrund eines
Streits über die Auslegung des Wahlrechts verlor die Volkspartei 1930
auch ihre letzten Mandate, da sie zu den ihrer Ansicht nach widerrecht-
lich angeordneten Wahlen gar nicht antrat.”
Mit der Volksinitiative von 1930 strebte die Volkspartei eine Abän-
derung der Verfassung an. Das Majorzwahlrecht sollte durch ein Pro-
porzwahlrecht ersetzt werden, um eine gerechtere Verteilung der Man-
date zu erreichen. Mit knapp 40 Prozent scheiterte die Initiative aller-
dings am 2. März 1930 recht deutlich.“ Das Abstimmungsresultat dürfte
das Kräfteverhältnis der beiden Parteien abgebildet haben.
Die Auseinandersetzung über das Wahlrecht war damit noch lange
nicht abgeschlossen. Die Bürgerpartei beschloss mit ihrer Mehrheit im
Landtag 1932 ein neues Wahlrecht, wonach für alle Gemeinden ausser
der kleinsten Gemeinde (Planken) ein Mandat im Landtag gesichert sein
sollte. Diese Vorlage legte der Landtag dem Volk zur Abstimmung vor.”
Die Vorlage erhielt fast 55 Prozent Zustimmung?® in der Volksabstim-
22 Ausfiihrlich bei Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 86-95.
23 Vogt, 125 Jahre Landtag, S. 206-207; Amt fiir Statistik, T_10.2.01; Geiger, Krisen-
zeit, Bd. 1, S. 305-306; Marxer, Parteien im Wandel, S. 245-246.
24 Vogt, 125 Jahre Landtag, S. 238; Amu fiir Statistik, T_10.2.01. Parallel mit der Ver-
fassungsinitiative wurde auch eine Gesetzesinitiative lanciert, die den neuen Verfas-
sungsartikel entsprechend im Volksrechtegesetz umsetzen sollte. Die beiden Vorla-
gen wurden in praktisch identischer Hohe abgelehnt.
25 Geiger, Krisenzeit, Bd. 1, S. 318-320.
26 Vogt, 125 Jahre Landtag, S. 240; Amu fiir Statistik, T_10.2.01.
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