Politische Kultur in der Zwischenkriegszeit
grammatisch nur wenig voneinander unterschieden.® — Letzteres zu-
mindest nach der Schaffung der Verfassung von 1921.
Das Ende des jeweiligen Wahlkampfes führte deshalb nur bedingt
zu einer Entspannung der Lage. Immer wieder kam es zu Ereignissen,
die dafür sorgten, dass die spitzen Federn der Redaktoren nicht stumpf
wurden und sich die Wut auf den Gegner nicht abkühlte. Diese Ent-
wicklung fiel bereits 1918 einem Einsender in den Oberrheinischen
Nachrichten auf. Er schrieb am 27. April, anderthalb Monate nach den
Landtagswahlen vom 11./18. März 1918: «Es ist auffallend, daß viele
Leute die Nachwehen über die Wahlen noch nicht verloren haben und es
den Leuten noch in Privatsachen ansehen lassen, daß man nicht ihre
angeblich allein richtige Meinung vertreten hat. Man sollte doch von
einigermaßen erfahrenen Leuten erwarten dürfen, daß sie politische
Anschauungen nicht ins Persönliche hinüberziehen.»*
In einem Volksblatt-Artikel vom März 1926 wird ein bedeutend
drastischeres Bild gezeichnet. Wegen des «politischen Kampfes» sei «das
Volk von Balzers bis Ruggell in die heilloseste Erregung gebracht. Brave
Jungfrauen selbst, Blüten des zarten Geschlechtes[,] drohen rasende
Weiber zu werden. Kirchgänger glotzen einander mit haßerfüllten Au-
gen an. Familien, die seit Urgroßvaters Zeiten miteinander die schönste
Freundschaft pflegten, sind in helle Feindschaft geraten wegen diesen
politischen Manövern und selbst in die Familien hinein drängt sich
durch die Politik der böse Geist des Unfriedens.»”
Kein Wunder malte man für Liechtenstein eine düstere Zukunft
und sah sogar dessen Existenz bedroht. So schrieb der Autor eines Arti-
kels im Volksblatt 1926, er «erachte [...] unsere heutigen zerfahrenen
politischen Verhältnisse als geradezu trostlos, weil es unter diesen Ver-
hältnissen unmöglich mehr zum Frieden kommen kann. Verhängnisvoll
kann das heutige System für unseren Miniaturstaat werden, nachdem
[...] diese unselige Parteispaltung alles ersprießliche Schaffen unmöglich
zu machen scheint.»®
85 Korfmacher, Landtag, S. 109.
86 Oberrheinische Nachrichten, 27. April 1918.
87 Liechtensteiner Volksblatt, 30. Mirz 1926.
88 Liechtensteiner Volksblatt, 27. Mirz 1926.
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