Auf die „Bedürftigkeit und Würdigkeit der Armen“ wurde besonders Rücksicht genommen.”
So unterschied man zwischen den „echten“ unterstützungswürdigen Armen und den „falschen“,
zu denen man professionelle Bettler zählte. Unter würdigen Armen verstand man solche, „die
nicht in der Lage waren, ein ausreichendes Einkommen (ganz oder teilweise) zu erwirtschaften,
also in der Regel Witwen, Waisen, alleinstehende Mütter, Kranke, Invalide und Alte.
Arbeitsfähige gehörten nur dann zu den würdigen Armen, wenn sie keine Arbeit finden konnten
oder wenn der Verdienst trotz aller Miihe nicht ausreichte.“* Weitere Unterscheidungen
wurden im Hinblick auf die Herkunft und Arbeitswilligkeit der Armen vorgenommen.®’ Diese
Differenzierungen galten bis ins 19. Jahrhundert und sind wohl auch heute noch bewusst wie
unbewusst vorhanden. ®
Als dritte große Wende kann die Entdeckung „labouring poor“ gesehen werden. Diese wurde
allerding erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts vermehrt wahrgenommen und zumindest
in Frankreich und England Bestandteil erster theoretischer Formulierungen. Der Vormarsch des
„Ökonomische[n] Liberalismus“ beeinflusste auch das Armenwesen. Die ‚neue Wohltätigkeit‘
war „durch und durch ökonomisiert“. ° Die arbeitsfähigen Armen sollten durch ihre
Arbeitskraft „Werte schaffen, die ihnen und der Gesellschaft nützlich seien.“”° Die Devise
lautete ab nun „Unterstützung durch Arbeit“.
3.2 Liechtensteinische Armutsdefinition
Die erste liechtensteinische Armutsdefinition lieferte Wolfgang Benedikt Schmidt, von 1794
bis 1807 Pfarrer in Triesen, aus Bayern kommend und ehemaliger Franziskanermönch sowie
Grammatikprofessor in Feldkirch.”* Schmidt zählt „unter die Armen, die ohne fromme Hilfe
und Beysteuer des mitleidigen und gerührten Nächsten nicht bestehen können [...]: [...] die
Waisenkinder ohne Vermögen von armen Eltern; die Hausarmen®” und Kranken, welchen es an
8 Hunecke, Geschichte der Armut, 492.
8 Amann, Armenfiirsorge und Armenpolitik, 21.
8 Veits-Falk, Weif3, Armselig sicht es aus, 214.
8 Die Trennung zwischen „wahren“ und „falschen“ Hilfsbedürftigen spiegelt sich heute in der anhaltenden
Flüchtlingsdebatte, die die Schutzsuchenden der ökonomischen Verwertungsperspektive unterordnet:
„Beispielsweise wird dadurch in der Konsequenz zwischen „guten“ und „schlechten“ Migranten unterschieden.
„Gute“ sind solche, die einen Beitrag zur Sicherung „unseres“ Wohlstandes leisten, „schlechte“ solche, die
„unsere“ Ressourcen verbrauchen.“ Mecheril, Castro Varela, Dirim, Kalpaka, Melter, Migrationspädagogik, 10.
89 Hunecke, Geschichte der Armut, 511.
% Hunecke, Geschichte der Armut, 511.
% Veits-Falk, Weiß, Armselig sicht es aus, 229.
92 Als Hausarme werden seit dem 13. Jahrhundert diejenigen Armen bezeichnet, die nicht betteln gehen oder in
Spitälern leben. Sie werden in ihren Wohnungen unterstützt oder empfangen Kost in wohlhabenderen Häusern.
Sie gelten als ehrbar und besitzen nicht selten das Bürgerrecht.“ Fischer, Armut in der Geschichte, 25.
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