Armen- und Krankenanstalt bot diese Institution den Hilfsbedürftigen, die auf keine Familie
oder Bekannten zurückgreifen konnten, Obdach und nahm die Funktion einer Krankenanstalt,
eines Waisenhauses, eines Altersheims, einer psychiatrischen Anstalt und teilweise sogar eines
Gefängnisses wahr. Alles Aufgaben, die im Zuge weiterer Spezialisierung und
Professionalisierung von gesonderten Institutionen übernommen wurden. Somit fand sich das
Armenhaus im Spannungsfeld zwischen wohltätiger Fürsorge und dem Bestreben nach
Disziplin und Ordnung wieder. Das Armenhaus war von Beginn an auch auf die Aufnahme von
Kindern und sinnesverwirrten Personen, zumindest in der ursprünglichen Zuweisung der
Zimmer, ausgerichtet. Die der Anstalt eigene Hausordnung verband die Fürsorge mit der
Anhaltung zu einer geordneten Existenz, welche sich besonders in der Führung eines
gottgefälligen und arbeitsamen Lebens zu äußern hatte. Diesem Prinzip wird auch mit der
Anhaltung zur Arbeit im Armenhaus bzw. der ihr zugehörigen Landwirtschaft Rechnung
getragen. Durch den in der Hausordnung festgelegten Tagesablauf wurde bereits ein
disziplinarischer Rahmen geschaffen, der jeglichen Raum fur individuelle
Gestaltungsmöglichkeiten nahm. Die Zeiten für Schlaf, Arbeit, Gebet, Essen und Erholung
waren stets vorgegeben und zeitlich festgesetzt. So konnte auch der Essensentzug bzw. dessen
Rationierung als pädagogische Maßnahme zur Anwendung kommen. Auch waren die
Insass_innen vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Man erbrachte die
notwendige Fürsorge und verfügte gleichzeitig über ein Mittel zur sozialen Kontrolle über die
„Elenden und Unglücklichen“. Die Anstalt - respektive deren Leitung - wusste aber auch, wo
sie an ihre Grenzen gelangte; so wurden allzu schwierige Persönlichkeiten oder stark
Sinnesverwirrte in entsprechende Anstalten ins Ausland gebracht.
Unterstützungsleistungen, insbesondere durch finanzielle Beiträge zu Arztrechnungen, wurden
auch während der Existenz des Armenhauses gewährt; sobald es sich jedoch um eine längere
Unterstützungsdauer oder die Verpflegung von altersschwachen oder kranken Personen
handelte, kam das Armenhaus zu tragen. Wie im Falle von Unterstützungen, oblag die
Aufnahme und Entlassung der Insass innen dem Gemeinderat. Wann genau eine
Unterbringung im Armenhaus einer punktuellen Unterstützung vorgezogen wurde, ist aufgrund
der individuellen Handhabung der Unterstützungsgesuche schwer festzustellen.
Dennoch wurde die Armenanstalt im Grunde positiv aufgenommen, wie dies die
Abnährungsverträge und die diversen Pensionäre, welche altersbedingt oder zur
„Zwischenmiete“ dort eine Unterkunft fanden, zeigen. Im Laufe der Zeit, insbesondere in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, öffnete sich die Anstalt vermehrt, indem
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